Ein stickiges Hinterzimmer ohne Tageslicht an einer Automesse – so sah einst die Location für ein Interview mit einem Auto-Vorstand aus. Passé – Porsches Finanz- und IT-Chef Lutz Meschke (55) treffen wir in einem Münchner Design-Hotel. Kleines äusseres Zeichen für den tiefgreifenden Wandel, der derzeit die Autoindustrie komplett umkrempelt.
Früher hat man mit Auto-Vorständen über Autos gesprochen – heute über Start-ups, Services, Software…
Lutz Meschke: Über Sportwagen sprechen wir schon auch noch gerne. Aber es ist unglaublich, wie viel sich aktuell in unserer Branche verändert. Vor fünf Jahren war ich zu 90 Prozent mit Finanzen beschäftigt – heute hat sich die Gewichtung massiv in Richtung IT verschoben.
Ist IT das nächste grosse Ding in der Autoindustrie?
Das ist es schon lange. Weil alle Anbieter bei der Elektromobilität richtig Gas gegeben haben, mussten sie sich parallel auch mit der IT dahinter auseinandersetzen. Software macht künftig den Unterschied. Tesla hat hier sehr früh richtig Gas gegeben, da sind wir gefordert, schnellstmöglich aufzuholen. Mehr als zwei, drei Jahre sollten wir uns dafür aber nicht nehmen. Deshalb müssen wir auch sinnvolle Kooperationen mit den Tech-Giganten in den USA und China eingehen.
Was bedeutet für Sie Digitalisierung – nur die Vernetzung des Autos?
Wir müssen hier mehrere Prozesse betrachten: Per künstlicher Intelligenz optimieren wir die Abläufe im Unternehmen – von der Buchhaltung über die smarte Produktion von Fahrzeugen bis zur Kommunikation mit dem Kunden. Sie haben eine Frage bei der Konfiguration Ihres Wagens? Dann wollen Sie nicht erst in zwei Wochen eine Antwort. Beratung lässt sich per künstlicher Intelligenz heute in Echtzeit erledigen. Zudem vernetzen wir mit enormen Aufwendungen unsere Fahrzeuge.
Können Sie Zahlen nennen?
Jährlich investieren wir rund 800 Mio. Euro in die Digitalisierung. Hinzu kommen nochmals bis zu 150 Mio. Euro jährlich für Beteiligungen an Start-ups. Es ist ein Milliardenthema.
Warum muss Porsche jetzt selbst Software entwickeln?
Es reicht nicht mehr, die beste Hardware – sprich: die Sportwagen – zu haben. Vor allem asiatische Kunden erwarten ein vernetztes Fahrzeug, in dem sie 1:1 so kommunizieren können wie mit ihrem Smartphone. Unsere Kunden in China sind im Schnitt nur 35 Jahre alt, der Frauenanteil ist nirgendwo grösser. Ihre Erwartungen ans Markenerlebnis sind andere als in Europa. Wer sich darauf nicht einstellt, ist im wichtigsten Automobilmarkt der Welt in zwei bis drei Jahren weg vom Fenster.
Lässt sich das nicht über Kooperationen lösen?
Wir müssen die Technologie selbst und im Land mit Feedback von den Kunden vorantreiben. Deshalb bauen wir jetzt in China eine Software-Entwicklung auf. Regionale Anforderungen sind der Massstab – das Prinzip «eine Technologie für alle Kontinente» funktioniert heute nicht mehr. In China kann ich nicht mit Google oder Apple punkten, sondern muss mit Baidu, Tencent und Alibaba unterwegs sein. Deshalb unsere weit gestreuten Unternehmensbeteiligungen über acht Venture-Capital-Fonds und an 30 Start-ups direkt. Auch wenn davon nicht alle Software-Experten sind: Aus dem eigenen Unternehmen heraus hätten wir uns mit der erforderlichen Geschwindigkeit nie genug IT-Kompetenz erarbeiten können.
Genau das wollen derzeit einige Mitbewerber.
Das könnte sich als Holzweg erweisen. Aus meiner Sicht ist das nicht der richtige Ansatz. Man braucht offene Software-Plattformen, an denen 20.000 Entwickler weiterarbeiten, auch ohne dass sie im eigenen Unternehmen angestellt sind. Und dazu hunderte eigene Fachleute mit Software-Entwicklungskompetenz, die die Architektur vorgeben, die Anforderungen definieren und auch flexibel und schnell in der Umsetzung sind.
Autohersteller sind Supertanker, Start-ups sind Rennboote. Wie passt das zusammen?
Es braucht einen Kulturwandel im Supertanker – die Mannschaft muss diesen Unterschied verstehen. Software kann man nicht in Acht-Jahres-Zyklen wie ein Fahrzeug weiterentwickeln. Autos erhalten künftig regelmässige Software-Updates, um ihr Betriebssystem auf den neuesten Stand zu bringen. Dafür muss auch die Hardware ausgelegt sein. Schon deshalb macht es Sinn, eine eigene Software-Kompetenz aufzubauen. Tesla hat das früh verstanden und ist uns hier voraus. Aber wir holen derzeit mächtig auf.
Haben die Etablierten Tesla unterschätzt?
Anfangs haben die klassischen Anbieter die Elektromobilität und ihre Dynamik unterschätzt. Als wir unser erstes Elektromodell Taycan aufgleisten, mussten auch wir interne Widerstände überwinden. Aber wegen der sich verschärfenden CO2-Regularien und sich wandelnden Sichtweisen der Gesellschaft war die Elektrifizierung der einzig richtige Weg. Dennoch verteidigte mancher noch jene Technologie, mit der man jahrzehntelang Geld verdient hatte. Man trennt sich ungern von dem, mit dem man lange Erfolg hatte. Auch die Parallelität zur Digitalisierung wurde unterschätzt.
Lässt sich Digitalisierung noch mit den bisherigen Mitarbeitenden umsetzen?
Man braucht ein Ökosystem um das Unternehmen, das Kompetenzen bereitstellt, die man selbst nicht hat. Ein solches System haben wir über die Beteiligungen hinaus mit Porsche Digital aufgebaut – unter anderem über Büros in Atlanta (US), Shanghai (CHN) oder Tel Aviv (ISR). So sind wir da, wo technologisch die Musik spielt. Zweitens müssen wir das eigene Personal weiterentwickeln.
Der Motorenentwickler wird IT-Ingenieur?
Wir dürfen uns nichts vormachen: Im Zuge der Transformation werden 50 bis 60 Prozent unserer Belegschaft einen komplett neuen Job machen müssen. Wir werden also bis zu 10.000 Mitarbeiter in den Nicht-Produktionsbereichen auf neue digitalisierte Arbeitsplätze vorbereiten müssen, bei denen künstliche Intelligenz eine wichtige Rolle spielen wird.
Wie lange wird das dauern?
Dazu genügt kein sechswöchiger Lehrgang – wir bilden in zweijährigen Programmen in Kooperation mit Universitäten weiter. Digitalisierung ist kein Selbstläufer – als Management muss man sie immer wieder ansprechen, bis sie bei jedem Prozess, bei jeder Entscheidung mitgedacht wird. Digitalisierung ist eine Querschnittsaufgabe. Es macht keinen Sinn, sie im Supertanker «Unternehmen» als einen eigenen Bereich anzusiedeln. Porsche Digital ist unser Schnellboot, das das Thema in alle Winkel des Unternehmens bringt.
Wie reagieren die Start-ups auf den Supertanker?
Zunächst überrascht sie unsere schiere Grösse. Über direkte Ansprechpartner versuchen wir dann zu vermitteln: Hier könnt ihr von uns lernen, dort wir von euch. Wir wollen beiderseits profitieren, nicht beherrschen. Wir beteiligen uns gerne, aber die Gründer sollen immer einen signifikanten Anteil am Unternehmen halten. Sonst verliert das Start-up seinen Schnellboot-Charakter.
Wo sind die spannendsten Schnellboote unterwegs?
Tel Aviv ist beispielsweise phantastisch im Bereich Cybersecurity – eine der Schlüsseltechnologien für das autonome Fahren. In dieser Dichte ist das weltweit einzigartig. Aber es gibt keinen lokalen Markt dafür. Genau da können wir mit Start-ups zusammenkommen und wechselseitig profitieren. Gleichzeitig muss aber klar sein, dass es eine Kooperation zwischen eigenständigen Unternehmen bleibt. Unsere Fahrzeugdaten zum Beispiel bleiben bei uns im Haus.
Und was bringt das alles dem Kunden?
Den direkten digitalen Kontakt zu uns, zum Beispiel. Oder Updates über das Mobilfunknetz, mit denen man die Autos aktuell hält und zusätzliche Funktionen kaufen kann.
Die Hard- und Software gibts in jedem Auto; sie wird nur freigeschaltet. Rechnet sich das?
Absolut. Allein schon im Hinblick auf eine Standardisierung der Fahrzeuge.
Und dann kann man bald mehr Leistung fürs Wochenende hinzubuchen?
Noch setzen die Gesetze hier in einigen Weltregionen Grenzen – aber die sind ja nicht in Stein gemeisselt.
Woran arbeiten Sie über die Mobilität hinaus?
Smart Cities oder dreidimensionale Mobilität – Stichwort Flugtaxis – sind spannende Themen für die Zukunft. Aber es wird noch mindestens 5 bis 10 Jahre dauern, bis sie beim Kunden erlebbar sein werden. Wichtig ist, dass wir dranbleiben und so weit digitalisieren, dass wir als Marke Porsche mit unseren Produkten auch künftig ganz oben stehen.
Geschäftsmodelle der Zukunft – ist das nicht Glaskugel-Lesen?
Genau das darf es eben nicht sein. Deshalb sprechen wir immer wieder mit unseren Kunden und stellen uns auf sie ein.
Sollten Sie auf das falsche Pferd setzen, dann tut es finanziell richtig weh.
Aber der viel grössere Fehler wäre es, sich nicht in Richtung E-Mobilität, Digitalisierung und autonomes Fahren zu entwickeln. China und die USA treiben diese Themen voran. Sie zu vernachlässigen, wäre für Porsche lebensgefährlich.