Opels Wasserstoff-Chefentwickler Dr. Lars Peter Thiesen
«Es ist falsch, nur auf eine Technologie zu setzen»

Während alle von E-Autos reden, bringt der Megakonzern Stellantis den ersten Wasserstoff-Transporter Opel Vivaro-e Hydrogen auf den Markt. Wir sprachen mit Projektleiter Lars Peter Thiesen über die grossen Hürden für die Technik und deren enorme Chancen für die Zukunft.
Publiziert: 18.12.2022 um 11:00 Uhr
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Aktualisiert: 18.12.2022 um 17:14 Uhr
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An der diesjährigen Auto Zürich in Zürich-Oerlikon stellte Opel als Schweizer Premiere den Opel Vivaro-e Hydrogen mit Brennstoffzellenantrieb vor. Verantwortlich für das Projekt war Dr. Lars Peter Thiesen.
Foto: STEFAN BOHRER
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Andreas EngelRedaktor Auto & Mobilität

Herr Dr. Thiesen, seit Jahren heisst es regelmässig: Die Wasserstoffmobilität für die breite Masse steht kurz vor dem Durchbruch. Auch Opel forscht seit Jahrzehnten – nun kommt das erste Auto auf den Markt. Warum erst jetzt?
Lars Peter Thiesen: Es gab zwei wesentliche Herausforderungen auf diesem Weg. Zum einen mussten wir etliche technische Hürden bewältigen. Ein Beispiel dafür ist der Kaltstart: In der Brennstoffzelle entsteht aus der Zusammenführung von Wasserstoff und Sauerstoff die elektrische Energie für den Elektromotor – als Abfallprodukt bleibt Wasser im System zurück. Bei Minusgraden kann dieses Wasser gefrieren und die Brennstoffzelle beschädigen. Wir mussten ein hoch integriertes System samt Abschaltstrategie entwickeln, die das System ausbläst und auch kleinste Mengen Wasser entfernt, wenn das Auto abgestellt wird. Hätten Sie mich 1999 gefragt, als wir die Entwicklung dazu gerade begonnen hatten, wie lange es dauert, bis wir das Problem lösen, hätte ich gesagt: zwei bis drei Jahre. Wir haben dann zehn Jahre gebraucht.

Warum so lange?
An den Membranen der Brennstoffzelle, wo die Reaktion stattfindet, fliesst getrennt voneinander Wasserstoff und Sauerstoff durch winzigste Kanäle. Zuerst hatten wir sie mäanderförmig gestaltet, wodurch in den Umkehrpunkten das Wasser hängen blieb. Um das zu verhindern, mussten wir das sogenannte Flow Field perfekt gestalten – das ist die wahre Kunst, vergleichbar mit der Gestaltung von Brennräumen in einem Verbrennungsmotor.

Und die zweite Herausforderung?
Wasserstoff ist nicht nur ein Treibstoff, sondern ein Energieträger für ein ganzes Ökosystem. Wir, die Autohersteller, mussten uns mit der Energieindustrie, den Tankstellenbetreibern und auch der Politik sektorenübergreifend auf Standards einigen. Zuerst mussten wir uns überlegen, wie wir das Brennstoffzellenauto überhaupt betreiben wollen. Als wir uns auf reinen Wasserstoff geeinigt hatten, kam sofort die nächste Frage auf: Wollen wir den Wasserstoff als Druckgas oder flüssig an Bord speichern? Nach der Wahl von Druckwasserstoff mussten wir das Druckniveau festlegen und eine Betankungsprozedur für 700 bar entwickeln. Zusammen mit Daimler haben wir das in die internationalen Gremien gebracht und so einen weltweiten Standard festgelegt. Das war ein grosser Erfolg, aber auch ein sehr langer Weg. All diese Entscheidungen hatten schliesslich riesige Implikationen auf Infrastruktur und Tankstellen.

Persönlich: Dr. Lars Peter Thiesen

Dr. Lars Peter Thiesen (56) ist Physiker und begann seine Karriere 1998 bei Opel bzw. beim Mutterkonzern General Motors in der Abteilung Fuel Cell Activities. In der Folge war er dort für unterschiedliche strategische Themen wie Treibstoffe für Brennstoffzellenfahrzeuge, Wasserstoff-Infrastruktur, Verbindungen zu Politik und Wirtschaft sowie Technologie- und Strategiekommunikation zuständig. Bei Opels Mutterkonzern Stellantis ist er für die Einführungsstrategie Wasserstoff und Brennstoffzelle verantwortlich. Seit über 20 Jahren spielt er eine Schlüsselrolle in dem komplexen, alle Stakeholder umfassenden Prozess, den Weg für Wasserstoff im Strassenverkehr in Europa zu ebnen. Thiesen wohnt in Mainz (D), ist verheiratet und hat zwei Kinder.

STEFAN BOHRER

Dr. Lars Peter Thiesen (56) ist Physiker und begann seine Karriere 1998 bei Opel bzw. beim Mutterkonzern General Motors in der Abteilung Fuel Cell Activities. In der Folge war er dort für unterschiedliche strategische Themen wie Treibstoffe für Brennstoffzellenfahrzeuge, Wasserstoff-Infrastruktur, Verbindungen zu Politik und Wirtschaft sowie Technologie- und Strategiekommunikation zuständig. Bei Opels Mutterkonzern Stellantis ist er für die Einführungsstrategie Wasserstoff und Brennstoffzelle verantwortlich. Seit über 20 Jahren spielt er eine Schlüsselrolle in dem komplexen, alle Stakeholder umfassenden Prozess, den Weg für Wasserstoff im Strassenverkehr in Europa zu ebnen. Thiesen wohnt in Mainz (D), ist verheiratet und hat zwei Kinder.

Wie ist man überhaupt auf die Idee gekommen, Wasserstoff als Treibstoff zu verwenden?
Das Interessante ist, dass sich der Treiber über die Jahre immer wieder geändert hat. Als General Motors Ende der 1960er-Jahre das erste Brennstoffzellenauto vorstellte, war das Projekt von purer Technologie-Begeisterung getrieben. Das war kurz vor der Mondlandung und der sogenannte Electrovan sah innen drin tatsächlich aus wie eine Rakete (lacht). Danach hat die technikaffine japanische Industrie die Forschung und Entwicklung vorangetrieben. In den 1990er-Jahren kam allmählich Druck aus verschiedenen Ländern, insbesondere aus Kalifornien, lokale Emissionen zu reduzieren. Zur Jahrtausendwende sah man zudem das Ende des billigen Öls kommen – Ressourcenverfügbarkeit war fortan ein wichtiges Thema. Heute bestimmt der Klimawandel die Entwicklung, und die CO₂-Reduktion steht im Vordergrund.

Warum hat man sich bei Opel für den Transporter Vivaro als erstes Wasserstofffahrzeug entschieden und nicht für einen normalen PW?
Wenn man sich die «Total Costs of Ownership» anschaut, also die Gesamtkosten des Betriebs, ist der Bereich der Flottenkunden der erste, für den diese Technik relevant wird. Es entstehen immer mehr innerstädtische Null-Emissionen-Zonen, in welche Gewerbekunden vielleicht schon bald gar nicht mehr mit Verbrennern hineinfahren dürfen – oder nur unter strengen Restriktionen. Der Gewerbebereich wird derjenige sein, der diese Not am frühesten spüren wird. Ausserdem haben wir mit dem batterieelektrischen Vivaro-e schon seit geraumer Zeit ein Massenprodukt auf dem Markt, auf dessen Architektur wir aufbauen konnten. Im Prinzip mussten wir lediglich die Brennstoffzelle im Motorraum unterbringen, die grosse Traktionsbatterie im Unterboden herausnehmen und stattdessen die Wasserstofftanks integrieren.

Wie Sie gerade erwähnten, besitzt Opel mit dem Vivaro-e schon ein Null-Emissionen-Fahrzeug in diesem Bereich. Warum braucht es dann noch eines in Form des Vivaro-e Hydrogen?
Nicht alle unsere Kunden können ihr Betriebsmodell mit dem batterieelektrischen Vivaro fahren. Wenn wir also den kompletten Kundenstamm mit Null-Emissions-Technologie erreichen wollen, brauchen wir neben der Batterie-Technik komplementär auch die Brennstoffzelle. Ein gutes Beispiel ist unser erster Kunde für den Wasserstoff-Vivaro in Deutschland, die Firma Miele: Deren Service-Techniker haben je einen eigenen Dienstwagen, den sie abends mit nach Hause nehmen. Viele von ihnen parken aber auf der Strasse und haben keine Möglichkeit, das Auto zu Hause zu laden. Mit dem Vivaro-e Hydrogen können sie am nächsten Morgen wie gewohnt zu einer Wasserstoff-Tankstelle fahren und den Wagen in weniger als fünf Minuten betanken. Die Nutzbarkeit und auch die Reichweite sind also wesentlich näher an einem Benziner oder Diesel bei gleichzeitig null Emissionen. Aus meiner Sicht ist es falsch, nur auf eine Technologie zu setzen. Schon in der Landwirtschaft hat sich gezeigt, dass Monokulturen nicht zukunftsfähig sind. Wir setzen also auf verschiedene Technologien, um den unterschiedlichen Anforderungsprofilen unserer Kunden gerecht zu werden.

Wie wollen Sie das sogenannte Huhn-Ei-Problem lösen? Also die Problematik, dass es ohne genügend Tankstellen nicht genug Kunden geben kann, welche die Autos kaufen – und umgekehrt.
Um eine Grundversorgung sicherzustellen, wurde 2015 das Unternehmen H2 Mobility gegründet, welches alle Wasserstoff-Tankstellen in Deutschland betreibt – heute sind es etwa 100. Natürlich müssen es noch mehr werden. Vorerst ist der Ausbau besonders in grossen Ballungsräumen sinnvoll, da unsere Kunden mit ihren Fahrzeugen hauptsächlich dort unterwegs sind. Genauso wie wir uns für neue Tankstellen interessieren, möchte H2 Mobility wissen, wo neue Kunden dazukommen: Letztlich muss natürlich auch das betriebswirtschaftliche Modell des Tankstellenbetreibers funktionieren. Hier dürfte auch der Aufbau einer Wasserstoff-Infrastruktur für Schwerlast-LKW helfen, womit die Abnahmemengen deutlich steigen, ähnlich wie es beim Projekt von H2 Energy in der Schweiz schon der Fall ist.

Opel Vivaro-e Hydrogen

Mit dem Opel Vivaro-e Hydrogen bringt Stellantis als weltweit erster Konzern einen Wasserstoff-Transporter auf den Markt. Angetrieben wird das leichte Nutzfahrzeug von einem 100 kW (136 PS) starken Elektromotor an der Vorderachse – die elektrische Energie stellt der Hydrogen dabei an Bord selber her: Der Wasserstoff aus den drei Hochdrucktanks im Unterboden wird in einer Brennstoffzelle in Strom für den Antrieb umgewandelt. Als Abfallprodukt bleibt einzig Wasser zurück. Mit den 4,4 Kilo Wasserstoff soll der Vivaro-e Hydrogen maximal 400 Kilometer weit kommen, das Betanken nur rund drei Minuten dauern. Zentrales Entwicklungsziel war aber die Nutzbarkeit. «Im Vergleich zum elektrischen Vivaro-e bleibt der volle Laderaum erhalten», sagt Chefentwickler Lars Peter Thiesen. Das Ladevolumen beträgt maximal 6,1 Kubikmeter, die Zuladung bis zu 1000 Kilo. Vorerst wird der Wasserstoff-Transporter nur in Deutschland und Frankreich im Leasingmodell angeboten. Die monatliche Rate inklusive staatlicher Förderung beträgt umgerechnet 740 Franken – etwa doppelt so viel wie bei einem Diesel. Ab Ende 2023 soll der Opel Vivaro-e Hydrogen auch in der Schweiz erhältlich sein.

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Mit dem Opel Vivaro-e Hydrogen bringt Stellantis als weltweit erster Konzern einen Wasserstoff-Transporter auf den Markt. Angetrieben wird das leichte Nutzfahrzeug von einem 100 kW (136 PS) starken Elektromotor an der Vorderachse – die elektrische Energie stellt der Hydrogen dabei an Bord selber her: Der Wasserstoff aus den drei Hochdrucktanks im Unterboden wird in einer Brennstoffzelle in Strom für den Antrieb umgewandelt. Als Abfallprodukt bleibt einzig Wasser zurück. Mit den 4,4 Kilo Wasserstoff soll der Vivaro-e Hydrogen maximal 400 Kilometer weit kommen, das Betanken nur rund drei Minuten dauern. Zentrales Entwicklungsziel war aber die Nutzbarkeit. «Im Vergleich zum elektrischen Vivaro-e bleibt der volle Laderaum erhalten», sagt Chefentwickler Lars Peter Thiesen. Das Ladevolumen beträgt maximal 6,1 Kubikmeter, die Zuladung bis zu 1000 Kilo. Vorerst wird der Wasserstoff-Transporter nur in Deutschland und Frankreich im Leasingmodell angeboten. Die monatliche Rate inklusive staatlicher Förderung beträgt umgerechnet 740 Franken – etwa doppelt so viel wie bei einem Diesel. Ab Ende 2023 soll der Opel Vivaro-e Hydrogen auch in der Schweiz erhältlich sein.

Somit wäre aber nur die Tankstellenfrage geklärt. Wie wollen Sie aber ganz konkret die Nachfrage nach Wasserstofffahrzeugen erhöhen?
Ganz wichtig ist jetzt, die Fahrzeuge auf die Strasse zu bringen, um Sichtbarkeit und Akzeptanz in der Öffentlichkeit herzustellen. Wenn ich Vorträge halte, glauben immer noch viele Leute, dass wir weiterhin in einer Demo-Phase sind. Dann muss ich jeweils entgegnen: Nein, sind wir nicht! Wir machen Ernst und haben jetzt ein massenfähiges Produkt auf dem Markt. Um die Markteintrittsbarrieren zu überwinden, brauchen wir aber weiterhin öffentliche Förderung, weil die Kosten für die Technologie noch deutlich höher sind als beispielsweise bei einem Diesel. Das darf natürlich kein Dauerzustand sein. Doch je mehr Fahrzeuge wir herstellen und auf den Markt bringen können, desto schneller können wir auch die Produktionskosten reduzieren – das geht einzig und allein über Stückzahlen.

Brennstoffzellen-Fahrzeuge sind für das Klima nur sinnvoll, wenn der Wasserstoff aus grünem Strom produziert wird. Diesen Winter müssen wir aufgrund des Ukraine-Kriegs aber sowieso schon Strom sparen. Woher soll derjenige für die Produktion von grünem Wasserstoff kommen?
Zunächst einmal ist es so, dass heute die Mengen grünen Stroms auch ohne die aktuelle Krise noch viel zu gering sind, um damit genügend grünen Wasserstoff produzieren zu können. Wir müssen deshalb den Blick auf das grosse Bild richten: Wenn wir als Gesellschaft, ja als Menschheit, komplett auf erneuerbare Energien umschwenken wollen, müssen diese auch gespeichert werden können – und Wasserstoff wird ein Kernelement für die Speicherung sein. Dort, wo die fluktuierend auftretenden Erneuerbaren kostengünstig und in grossen Mengen produziert werden können, kann man sie oft gar nicht gebrauchen. Man muss die grüne Energie also transportieren können. Am kostengünstigsten geht das über Pipelines, wozu Wasserstoff ideal geeignet ist. Wasserstoff muss sowohl räumlich und zeitlich als auch wirtschaftlich als Bindeglied zwischen den Sektoren verstanden werden. Genau das macht ihn so faszinierend.

Der Klimawandel schreitet voran, die Menschheit bräuchte möglichst bald umsetzbare Lösungen – auch beim Wasserstoff. Was sind zurzeit die grössten Hürden dafür, dass es schneller vorangeht?
Für die Herstellung von grünem Wasserstoff brauchen Sie Elektrolyseure –Anlagen, in denen Wasser in seine Bestandteile Wasserstoff und Sauerstoff aufgespalten wird. Die Technologie ist schon lange bekannt, aber nun geht es darum, diese Anlagen im Gigawatt-Bereich aufzubauen. Diese müssen aber erst entwickelt werden – man kann dort nicht auf Anlagen von der Stange zurückgreifen. Und bis diese grossindustrialisierte Produktion grünen Wasserstoffs möglich ist, wird es noch einige Zeit brauchen. Ich sehe vonseiten der Industrie aber aktuell ein grosses Momentum. Wichtig ist, dass wir branchenübergreifend weiter eng zusammenarbeiten und alle Sektoren gemeinsam an einem Strang ziehen.

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