Revolutionär, CO2-frei und 36 Tonnen schwer
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Gamechanger Wasserstoff?Revolutionär, CO2-frei und 36 Tonnen schwer

Erste Wasserstoff-LKW auf Schweizer Strassen
Revolutionär, CO2-frei und 36 Tonnen schwer

Seit Anfang Jahr rollen die ersten 50 Wasserstoff-LKW von Hyundai auf Schweizer Strassen. SonntagsBlick fuhr im Cockpit mit und erklärt, wie die Brennstoffzelle unsere Mobilität verändern soll.
Publiziert: 23.05.2021 um 04:25 Uhr
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Aktualisiert: 23.05.2021 um 13:01 Uhr
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«Sie kommen!» Im März waren die beiden Wasserstoff-Trucks der Chr. Cavegn AG erstmals auf der Achse vom Genfer- zum Bodensee unterwegs.
Foto: Thomas Meier
Andreas Engel

Ich warte auf die Revolution. Wir alle warten – auf Fahrzeuge mit null Emissionen, und das seit vielen Jahren. Für mich dauerts nun aber nur noch ein paar Minuten, bis die Revolution angerollt kommt. Die Umgebung allerdings hat so gar nichts Revolutionäres. Ein schmuckloses Gewerbegebiet am Rande von Zofingen AG. Autohändler, Sanitärgewerbe und Tankstellen reihen sich aneinander. Revolution? Hier?

«Sie kommen!», rufen die Organisatoren dieses vielleicht einst historischen Tages: Zwei LKW-Anhängerzüge des Bündner Logistikunternehmens Chr. Cavegn AG rollen an die Tankstelle. Äusserlich für Laien völlig unscheinbar – würden nicht an Front und Seiten Aufkleber die Technologie unterm massiven Blech verraten: «Green Hydrogen» – grüner Wasserstoff.

Mobilitätssystem der Zukunft

Die Chr. Cavegn AG gehört zu 21 Unternehmen, die sich dem Förderverein H2 Mobilität angeschlossen haben – darunter Coop und Migros, Tankstellenbetreiber wie Agrola, Avia und Shell und Transportunternehmen wie Galliker, Schöni und eben Chr. Cavegn. Zusammen mit den Unternehmen H2 Energy, Hydrospider und Hyundai einigt sie ein Ziel: einen Kreislauf aufzubauen, der ohne klimaschädliche CO2-Emissionen auskommt – von der Energiequelle über die Produktion bis zum Einsatz in den Fahrzeugen. Mobilität der Zukunft. Die Revolution.

Die Wasserstoff-Tankstelle in Zofingen ist eine von heute sechs öffentlichen Stationen entlang der Route vom Genfersee (Crissier VD) bis zum Bodensee (St. Gallen). Zwei weitere sind aktuell in Vorbereitung. «Für uns ist das heute ein Test, ob wir tatsächlich die Strecke von der West- in die Ostschweiz ohne Nachtanken schaffen», erklärt Geschäftsführer Severin Cavegn, der zusammen mit Bruder Christian zwei der heute 50 auf Schweizer Strassen fahrenden Wasserstoff-LKW für sein Unternehmen geordert hat.

Nach 105 Jahren wieder CO2-neutral

Rund 400 Kilometer weit kommen die Hyundai Xcient Fuel Cell Trucks mit den 34 Kilo Wasserstoff (H2), die in sieben Druckbehältern hinter der Fahrerkabine verstaut sind. Und bewegen mit dem daraus produzierten Strom bis zu 36 Tonnen Gesamtgewicht. Neben der Image-Strahlkraft des Projekts ist es für Cavegn ein Wandel zurück zu den Wurzeln: «1916 begann mein Urgrossvater mit zwei Pferden und einem Wagen. Heute, 105 Jahre später, haben wir die ersten Wasserstoff-LKW auf der Strasse – und fahren mit ihnen wieder CO2-neutral!» Wie teuer die H2-Trucks im Praxisbetrieb sind, kann Cavegn noch nicht beantworten. «Dazu müssen wir die Testphase abwarten.» Im Vergleich zum Diesel entfalle aber schon einmal die Schwerverkehrsabgabe LSVA.

Am Steuer der Hightech-Trucks, die im Vergleich zu konventionellen LKW einen Tick länger und marginal schwerer sind, sitzt Berufschauffeurin Sonja Bichsel. Während Kollege Markus Roffler, Fuhrparkleiter bei Chr. Cavegn, ein mit 36 Tonnen vollbeladenes Gespann von Crissier nach St. Gallen steuert und für die «Rekordfahrt» in Zofingen nicht nachtanken darf, zeigt uns die 52-Jährige an ihrem Lastwagen, wie simpel das Nachfüllen der Hochdrucktanks ist. «Tankstutzen drauf, Hebel umlegen, Startknopf drücken, fertig.
In knapp zehn Minuten sind die leeren Tanks gefüllt – nicht länger als bei einem Diesel-LKW.»

Der Hyundai Xcient Fuel Cell in Zahlen

Antrieb Elektromotor 350 kW (476 PS), 3400 Nm Drehmoment, 6-Gang-Wandlerautomatik, Heckantrieb, Akku 73,2 kWh, Brennstoffzelle 190 kW (2x95 kW)
Fahrleistungen 0-100 km/h k.A., 85 km/h Spitze (abgeregelt), Reichweite ca. 400 km
Masse Länge Motorwagen (mit Anhänger)/Breite/Höhe 9,77 (19,3)/2,60/3,85 m
Nutzlast 5200 kg (max. 12'000 kg inkl. Anhänger)
Gesamtgewicht 19'000 kg (36'000 kg inkl. Anhänger)
CO2 0 g/km
Preis unbekannt, Nutzung nur im «Pay-per-use»-Modell möglich

Antrieb Elektromotor 350 kW (476 PS), 3400 Nm Drehmoment, 6-Gang-Wandlerautomatik, Heckantrieb, Akku 73,2 kWh, Brennstoffzelle 190 kW (2x95 kW)
Fahrleistungen 0-100 km/h k.A., 85 km/h Spitze (abgeregelt), Reichweite ca. 400 km
Masse Länge Motorwagen (mit Anhänger)/Breite/Höhe 9,77 (19,3)/2,60/3,85 m
Nutzlast 5200 kg (max. 12'000 kg inkl. Anhänger)
Gesamtgewicht 19'000 kg (36'000 kg inkl. Anhänger)
CO2 0 g/km
Preis unbekannt, Nutzung nur im «Pay-per-use»-Modell möglich

Wie in einem Flugzeug

Ich besteige den Beifahrersitz neben Sonja Bichsel, die seit 22 Jahren LKW steuert und bei Chr. Cavegn die Instruktionen für die Wasserstoff-Trucks durchführt. Was schon nach wenigen Augenblicken klar wird: Die LKW-Revolution wird leise. «Es ist viel ruhiger, fast wie in einem Flugzeug», sagt Bichsel. «Ich geniesse das sehr.» Und nicht nur das: Während Diesel-LKW ihr Drehmoment erst aufbauen müssen und Gangwechsel bei konventionellen Getrieben mit Zuglastunterbrechungen verbunden sind, baut der Hyundai sein Drehmoment sofort auf und schaltet quasi verzögerungsfrei.

Im Prinzip ist der LKW ein Elektro-Fahrzeug, das als Abgas lediglich hin und wieder Wasserdampf auf die Strasse speit. Der Elektromotor wird von den beiden Brennstoffzellen gespeist, die den gespeicherten Wasserstoff mit dem Sauerstoff der Umgebungsluft in elektrische Energie umwandeln. Unterstützt werden sie von einer Lithium-Ionen-Batterie, die als Energiepuffer fungiert und zusätzliche Leistung zur Verfügung stellt, wenn diese gebraucht wird.

Rekordfahrt geglückt

Schaut sie öfter auf die Reichweiten-Anzeige als bei gewöhnlichen Diesel-LKW? «Nein», antwortet Bichsel, «man hat sehr schnell im Gefühl, welche Distanzen man schafft und welche nicht.» Auch Kollege Markus Roffler im Rekord-Gespann dürfte ohne Schweissperlen auf der Stirn in St. Gallen angekommen sein: Die 330 Kilometer lange Strecke von der West- in die Ostschweiz hat sein LKW locker ohne Nachtanken geschafft – und am Ende sogar noch Wasserstoff für weitere 100 Kilometer. In der Schweiz steht der Revolution nichts mehr im Wege.


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