Fünf Experten nehmen Stellung
Die Schweiz auf dem Weg in die Mobilität der Zukunft

Ohne Wandel der Mobilität sind Klimaziele nicht zu schaffen – darüber herrscht Konsens. Doch wie dieser Wandel konkret gestaltet werden soll, dazu gibt es ganz viele Lösungsansätze – auch in der Schweiz. Fünf Experten äussern sich dazu.
Publiziert: 13.07.2022 um 11:26 Uhr
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Aktualisiert: 17.11.2022 um 22:33 Uhr
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Um die Klimaerwärmung zu begrenzen und die Energiewende zu schaffen, muss sich die Mobilität wandeln – und klimaneutral werden. Fünf Experten erzählen, wie sie sich die Transformation vorstellen.
Foto: zVg
Andreas Engel

Die Menschheit ist mobil wie nie: Kein anderer Sektor verbraucht global so viel Energie wie der Verkehr. Um die Klimaerwärmung zu begrenzen und die Energiewende zu schaffen, muss sich die Mobilität wandeln – und klimaneutral werden. Wie sich die Transformation gestalten lässt, dazu referierten und diskutierten zahlreiche Expertinnen und Experten am vierten Innovationsforum Mobility am Gottlieb Duttweiler Institut (GDI) in Rüschlikon ZH. Wir fassen die Kernaussagen zusammen.

1. Wo stehen wir bei der E-Mobilität – und wie geht es weiter?

Christoph Schreyer, Leiter Energieeffizienter Verkehr beim Bundesamt für Energie (BFE):

«Der Verkehrssektor ist nach wie vor der grösste Energieverbraucher der Schweiz. Über 93 Prozent der Energie stammen aus fossilen Trägern wie Benzin, Diesel und Kerosin. Das bedeutet Milliardenkosten und eine grosse Abhängigkeit vom Ausland. Doch der Wandel ist im Gange: Im Juni waren 21 Prozent aller immatrikulierten Neuwagen reine E-Autos, weitere 7,2 Prozent Plug-in-Hybride. Im ersten Quartal rangierte die Schweiz im EU-Vergleich auf Rang 7, bei reinen Stromern gar auf Platz 5 – und das ohne eine Kaufprämie. Bis 2025 sollen 50 Prozent aller Neuzulassungen E-Autos und Plug-ins sein und die Infrastruktur auf 20'000 öffentliche Ladestationen wachsen – heute stehen wir bei rund 8000 Stationen, womit die Schweiz eines der bestausgebauten Ladenetze Europas aufweist. Doch der Fokus muss klar auf einer optimalen Ladeinfrastruktur in Mehrfamilienhäusern liegen: Rund 70 Prozent der Schweizer Bevölkerung wohnen in Miet- oder Eigentumswohnungen. Dazu erarbeiten wir aktuell einen Leitfaden zum Laden in Mehrparteien-Gebäuden im Rahmen der Roadmap E-Mobilität 2025 des Bundes. Nur so können wir die Energiewende schaffen.»

2. Hat Wasserstoff noch eine Chance als Energieträger?

Christian Pho Duc, CTO Smartenergy Group AG:

«Wie dramatisch wir von fossilen Energieträgern abhängig sind, wurde mit Ausbruch des Ukraine-Kriegs sichtbar. Umso wichtiger war die Entscheidung des EU-Parlaments, Autos mit Verbrennungsmotoren ab 2035 zu verbieten – dies beschleunigt schon jetzt den Wandel zum dezentralen Energieträger Strom. Doch rein auf Elektroautos zu setzen, halte ich für falsch. Wasserstoff hat wegen der sehr hohen Energiedichte ebenso grosses Potenzial – insbesondere bei Flugzeugen, grossen Nutzfahrzeugen wie Bussen und LKWs sowie Schiffen. In der Luftfahrt gehe ich davon aus, dass sich Wasserstoff auf Dauer durchsetzt. Doch auch bei Personenwagen spricht vieles für Wasserstoff. Zum einen sind in Wasserstoffautos bis zu 20-mal weniger kritische Rohstoffe wie Lithium verbaut, deren Preise stark steigen könnten. Zum anderen geht das Auffüllen eines Wasserstofftanks bedeutend schneller als das Aufladen eines Akkus. Experten gehen davon aus, dass eine Wasserstoff-Tankstelle bis zu 60 Schnelllader ersetzen könnte. Zahlreiche Projekte zeigen, dass Wasserstoff eine echte Alternative zu Strom als Energieträger ist. Sinnvoll wäre ein Mix aus beiden Technologien.»

3. Werden Raststätten dank E-Mobilität zu Wohlfühloasen?

Alessandro De Guglielmo, Gründer De Guglielmo Mobility Consulting:

«Wenn man sich die heutigen Ladelösungen anschaut, stellt man fest, dass sie oft nicht alltagstauglich sind. Häufig sind die E-Auto-Fahrer Regen, Schnee oder praller Sonne ausgesetzt. Ausserdem wissen wir, dass die bestehende Ladeinfrastruktur bald nicht mehr ausreichen wird, wenn immer mehr ein E-Auto besitzen, aber nicht alle zu Hause oder im Büro laden können. Hier kommt e-Oasi ins Spiel – Elektro-Raststätten zum Wohlfühlen. Die Leute sollen die Zeit während des Ladens geniessen – sich verpflegen, relaxen, einkaufen oder arbeiten. Nicht sie sollen aufs Auto warten, bis es geladen ist, sondern das Auto auf sie. Je nach Standort – in urbanen Zentren oder an Autobahnen – wollen wir 20 bis 70 Ultra-Schnelllade-stationen mit DC-Leistungen bis 380 kW anbieten. Die Säulen – sowohl für PWs als auch für LKWs – sind reservierbar und akzeptieren alle Zahlungssysteme. Die Energie wird über Micro-Grid-Anlagen bereitgestellt: kleine intelligente Stromnetze, in die PV-Anlagen und Speicher integriert sind. Ziel sind mindestens 20 Standorte. Wir wären erster Schweizer Energy-Hub, der von Anfang an für E-Mobilität gedacht und entwickelt ist.»

4. Smarte Mobilität für eine nachhaltige Mobilitätswende

Jonas Schmid, Leiter Neue Mobilität an der Mobilitätsakademie des TCS:

«Für die nachhaltige Verkehrswende spielen drei effizienzgetriebene Transformations-Pfaden eine zentrale Rolle. Zum einen die Entkarbonisierung, die mit Ende des Verbrennungsmotors bei den Autos beschlossen ist. Selbst die Kleinaviatik unterzieht sich der Elektrifizierung – schon heute wird mit elektrischen Jets und Multikoptern der Personentransport erprobt. Der zweite Pfad ist die Entprivatisierung, also die Shared Mobility. Deren Markt ist in den letzten Jahren extrem gewachsen. Gab es 2012 rund zwölf Anbieter, etwa Mobility, PubliBike oder Autovermietungen, sind es heute über 50. Besonders stark gewachsen ist das eScooter-Sharing mit rund einem halben Dutzend Anbietern. Dank Innovationen wie Wechselakkus sind die E-Trottis heute viel nachhaltiger – erste Verkehrsbetriebe wie die VBZ integrieren sie ins Verkehrssystem. Die zunehmende Bedeutung der Mikromobilität – wir reden auch von Entmotorisierung – ist ebenfalls ein wichtiger Pfad Richtung Verkehrswende. Hier geht’s um mehr Effizienz durch kleine und leichtere Mobilitätswerkzeuge. Schliesslich ist neben einer smarten, effizienten Fortbewegung auch eine weise, suffiziente Mobilität gefragt: Golfen in Graubünden statt auf den Malediven. Lieber den Co-Working-Space in der Gemeinde nutzen, statt zwei Stunden zu pendeln.»

5. Warum E-Mobilität auch bei Nutzfahrzeugen funktioniert

Tobias Wülser, Gründer Designwerk Technologies AG:

«Angefangen haben wir im ganz Kleinen: Mit unserem zweiplätzigen Zerotracer-Elektromobil sind wir in 80 Tagen bzw. 700 Stunden einmal um die Welt gefahren. Die Stromkosten: nur 400 Franken! Drei Jahre später haben wir die E-Lastwagen-Marke E-Force gegründet, erste mobile Schnelllader auf den Markt gebracht und 2016 den ersten Futuricum Elektro-Laster vorgestellt. Heute sind mehr als 125 Fahrzeuge von uns auf der Strasse – vom Müllwagen bis zum Autotransporter. Unsere Kunden haben 2021 über eine Million Kilometer zurückgelegt. Heute verbauen wir Batterien mit bis zu 900 kWh, mit denen täglich 450 Kilometer gefahren werden können – 100'000 im Jahr. Die Produktion der Akkus ist zwar sehr CO2-intensiv, doch sparen Elektro-LKWs im Betrieb bis zu 76 Prozent CO2 gegenüber dem Diesel ein – 27 statt 112 Tonnen pro Jahr. Das bedeutet, dass die CO2-Bilanz bereits nach 1,3 Jahren ausgeglichen ist – danach ist der E-LKW immer sauberer. Zwar sind unsere Stromer-Trucks etwa viermal so teuer, doch dank der viel tieferen Betriebskosten ist die Anschaffung nach spätestens acht Jahren amortisiert. E-Mobilität ist auch im Schwerverkehr möglich – und sinnvoll.»

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