Der Audi E-Tron S Sportback auf der Driftstrecke
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Unter Extrembedingungen:Der Audi E-Tron S Sportback auf der Driftstrecke

Exklusive Elektro-Testfahrten in Schweden
Darum fährt ein Audi wie ein Audi

Zur Abstimmung der Fahreigenschaften kommender Modelle machen die Autohersteller jeweils ein grosses Geheimnis. Blick erhielt exklusive Einblicke in die Welt der Auto-Entwicklung – elektrisch und weit ab der Öffentlichkeit.
Publiziert: 21.01.2023 um 11:00 Uhr
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Aktualisiert: 21.01.2023 um 18:21 Uhr
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Schneebedeckte Flächen und Wälder so weit das Auge reicht – willkommen in Schwedisch-Lappland, zehn Autostunden nördlich von Stockholm.
Foto: Roman Raetzke
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Andreas EngelRedaktor Auto & Mobilität

Schneebedeckte Flächen und Wälder, so weit das Auge reicht. Von Häusern, Autos oder Menschen keine Spur. Wir sind im Landeanflug auf Arvidsjaur – zehn Autostunden nördlich der schwedischen Hauptstadt Stockholm. Oder anders gesagt: irgendwo im Nirgendwo. Kurz vor der Landung erkenne ich beim Blick aus dem Flugzeugfenster die Umrisse von im Schnee abgesteckten Testrouten: Ein riesiger Kreis, eine Bahn mit der Silhouette einer Rennstrecke. Selbst orange schimmernde Pylonen sind auszumachen.

Die Region ist ein Mekka für viele deutsche Autohersteller: Egal, ob Mercedes, BMW oder VW – alle kommen sie über die dunklen Wintermonate nach Schwedisch-Lappland, um ihre meist noch streng geheimen Modelle fernab der Öffentlichkeit unter Extrembedingungen zu testen und für die Serienreife weiterzuentwickeln. Die weiten Eisflächen rund um den 5000-Seelen-Ort gehören nicht zum offiziellen Testgelände des VW-Konzerns, wo auch Audi seine Modelle testet. Dieses liegt nochmals rund 60 Kilometer weiter nördlich – die genauen Koordinaten des schlicht Kalt1 genannten, rund 3600 Hektar grossen Areals gibt der Autobauer aus Geheimhaltungsgründen nicht preis.

Ideale Testbedingungen

Doch das Gelände nahe Arvidsjaur ist so etwas wie eine kompakte Variante von Kalt1 für Kunden- und Presse-Events. Auch hier sind die Testbedingungen von November bis Ende März ideal: Das Eis der zugefrorenen Seen ist bei unserem Besuch im letzten März immer noch fast einen Meter dick. Um ein Fahrzeug zu tragen, reiche bereits eine Eisdicke von rund 30 Zentimetern, versichern die Organisatoren.

Für die Testfahrten stehen verschiedene Modelle aus Audis vollelektrischer E-Tron-Serie bereit. Wir starten mit dem Topmodell – die Sportversion RS der knapp fünf Meter langen Reiselimousine E-Tron GT. Je ein E-Motor an Vorder- und Hinterachse sorgen nicht nur für Quattro-Allradantrieb, sondern auch für irre 598 PS, die anders als bei einem Verbrenner ab der ersten Umdrehung anliegen. Nach wenigen Fahrminuten über das weitläufige Gelände bleiben wir vor dem riesigen Rund stehen, das ich bereits aus dem Flieger ausmachen konnte.

Heiss auf Eis

Jaan-Mattes Reiling von Audi Sport, der an der Entwicklung des E-Tron GT beteiligt war, erklärt die wichtigsten technischen Features des mindestens 150'000 Franken teuren Sportgeräts, bevor es zum Driften auf die kreisrunde Eisbahn mit seinen rund 200 Meter Durchmesser geht: «Dank der beiden E-Motoren können wir jede Achse einzeln ansteuern und so die Kraft immer dahin verteilen, wo sie gebraucht wird. Ausserdem haben wir ein adaptives Luftfahrwerk und eine Allradlenkung an Bord, was dem RS E-Tron GT zusätzliche Dynamik verleiht.»

Dynamik – das ist das Stichwort! Freudig nervös gleite ich flüsterleise aufs Eis – für bessere Traktion sind auf den 21-Zoll-Alus spezielle Reifen mit 3-Millimeter-Spikes aufgezogen. Ich trete das Gas voll durch, doch das leicht ins Rutschen kommende Heck wird blitzartig von der Bordelektronik in die Spur zurückgebracht. «Im Comfort-Modus ist das Fahrzeug nur sehr schwer in den Drift zu bekommen», kommentiert Reiling via Funk. Also Fahrmodus auf «Dynamic», und schon spüre ich deutlich mehr Bewegung im Heck. Für möglichst wenig elektronische Eingriffe schalte ich das Stabilitätsprogramm ESC ganz ab. Was im Strassenverkehr fatale Folgen haben kann, sorgt auf weisser Unterlage für hochgezogene Mundwinkel und Driftexzesse. Runde um Runde versuche ich das Spiel zwischen Gaspedal und Lenkwinkel zu perfektionieren.

Gaspedal als Dirigent

Später am Tag: gleiche Übung, anderes Auto. Bei Audis SUV-Coupé E-Tron S Sportback sorgen gleich drei E-Motoren – einer an der Vorderachse, je einer pro hinterem Rad – für eine maximale Systemleistung von 503 PS und fast 1000 Nm Drehmoment. Und schnell stelle ich fest: Der Crossover lässt sich auf Schnee noch besser kontrollieren als der GT und kann deutlich leichter zum Driften gebracht werden. «Das liegt daran, dass die beiden Hinterräder einzeln ansteuerbar sind», erklärt Audi-Entwickler Achim Gulde. «So können wir die Antriebskräfte nicht nur zwischen den Achsen wie beim E-Tron GT verteilen, sondern gar komplett aufs kurvenäussere Rad geben, womit sich das Fahrverhalten viel präziser übers Gaspedal steuern lässt.»

Gulde ist seit mehr als 20 Jahren Chassis-Entwickler bei Audi. Er weiss genau, worauf es beim Abstimmen der verschiedenen Fahrzeuge ankommt: «Die Fahreigenschaften eines Audi lassen sich in bestimmte Merkmale unterteilen: ausbalanciert, solide, kontrolliert, vernetzt, präzise und mühelos. Natürlich darf sich nicht jedes unserer Modelle gleich anfühlen – je nach Fahrzeug gibt es individuelle Unterschiede.»

Nuancen machen grosse Unterschiede

Schon in der Konzeptphase eines neuen Modells würden die späteren Fahreigenschaften festgelegt. Doch um sie von der Theorie in die Praxis umzusetzen, sei der Aufwand bei der späteren Grund- und Feinabstimmung enorm. «Um ein Fahrzeug auf all seine Fahreigenschaften zu erproben, sind in der Regel mindestens ein bis zwei Tage intensiven Testens nötig», verrät Gulde. Den Stolz, für Audi zu arbeiten, hält der Entwickler nicht zurück: «Wenn ich unsere Fahrzeuge im direkten Vergleich mit der Konkurrenz teste, stelle ich immer wieder fest, dass wir deutlich mehr Aufwand in Details stecken. Oft sind es Nuancen, die grosse Unterschiede im Fahrverhalten machen.»

Doch die Testtage seien auch sehr intensiv – schliesslich beruhen die Bewertungen nicht allein auf seinen subjektiven, über die Jahre immer besser geschulten Wahrnehmungen, sondern müssten auch fundiert und objektiv nachvollziehbar sein. «Auch wir Entwickler sind uns bei den Tests nicht immer sofort einig, ob die zuvor festgelegten Kriterien nach unseren Vorstellungen erreicht wurden.» Wie solche Tests ablaufen, zeigt mir Gulde bei der anschliessenden Ausweichübung im noch getarnten Forschungsfahrzeug des kommenden E-Tron S: «Ich bin erstaunt, dass Audi solch tiefe Einblicke in die Entwicklungsarbeiten des neuen Modells gewährt», meint selbst Audianer Gulde.

Jedes Feedback zählt

Bei der Weiterentwicklung hätte man den Fokus hauptsächlich auf die Lenkung, das Fahrwerk und die Steuerungssoftware gelegt. Die Änderungen sind sogar für mich als blutigen Entwicklungsfahrer-Neuling zu spüren: Beim rasanten Ausweichmanöver mit bis zu 90 km/h reagiert die Lenkung noch direkter. Beim anschliessenden Gegensteuern stellt sich der über 2,5 Tonnen schwere SUV sanft zurück in die Spur. Alles scheint noch kontrollierbarer als im ohnehin schon sehr austariert wirkenden E-Tron S. Achim Gulde notiert sich das Laien-Feedback im vorbereiteten Bewertungsblatt genau. Ob ich eventuell gar Einfluss auf die Abstimmung des kommenden E-Tron Sportback habe, frage ich mich in Gedanken. Schön wärs jedenfalls – auch wenn meine Meinung am Ende höchstens Nuancen ausmacht.

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