Festival of Speed im britischen Goodwood
Das ist die verrückteste Automesse des Jahres

Klassische Motorshows verlieren die Gunst der Autohersteller. Aber ans Festival of Speed im südenglischen Goodwood strömen noch die Massen – weils Autoneuheiten und britische Egozentrik charmant verbindet.
Publiziert: 12.07.2024 um 11:50 Uhr
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Aktualisiert: 12.07.2024 um 12:07 Uhr
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Eine Mischung aus Oldtimer-Meeting, Racing-Event und Automesse: Das Festival of Speed lockt alljährlich 150'000 Fans ins südenglische Goodwood.
Foto: Zvg
Stefan Grundhoff

Über die Sinnhaftigkeit des sogenannten Hill Climbs lässt sich vortrefflich streiten. Formel-1-Piloten, Promis mit Rennlizenz und Testfahrer der Autohersteller donnern das nur 1,16 Meilen lange Asphaltband den Hügel hinauf. Vorbei an Tausenden begeisterter Zuschauer, die brüllen, grölen und feiern, wenn bei heissen Drifts Gummi verbrannt wird. Willkommen am Festival of Speed im britischen Goodwood, das an diesem Wochenende wieder die Massen anzieht – weil hier noch den Pferdestärken gehuldigt wird.

Doch nicht allein Monoposti, Prototypen und abgefahrene Rennwagen wollen unter jubelnden Massen die Rekordzeit von knapp 40 Sekunden schaffen, sondern die Autoindustrie hat das Festival längst zur Open-Air-Messe der Neuzeit werden lassen. Die Industrie folgt dem Lockruf von Lord March in Massen, dem hier nennenswerte Teile des Grossareals gehören – Flugplatz und eigene Rennstrecke eingeschlossen. Das Goodwood Festival of Speed ist längst zur wichtigsten Automesse Englands, vielleicht sogar ganz Europas geworden.

Beste Stimmung, ebensolches Wetter

Die Stimmung könnte in diesem Jahr besser nicht sein, denn seit Wochen passt zum ersten Mal das Wetter. Die rund 150'000 Fans diskutieren mit dem Smartphone in der einen und einer Glace in der anderen Hand über den Sieg von Lewis Hamilton beim Formel-1-Heimrennen in Silverstone, das gewonnene Halbfinale bei der Fussball-Europameisterschaft gegen die Niederlande und dass das Finale am Sonntag gegen Spanien nur noch Formsache sei.

Partystimmung pur – und die Mitarbeitenden der ausstellenden Autohersteller strahlen ebenfalls glücklich. Nach dem Untergang der klassischen Messen und fehlenden Alternativen endlich ein Format, um die frohe Autobotschaft nebst Elektrifizierungstendenzen in die weite Welt herauszutragen – auch wenn es hier nur die flachen Hügel von Lord March (69) sind. Pardon: Korrekt Charles Henry Gordon-Lennox, 11. Duke of Richmond and Lennox.

Adeliger Veranstalter

Seine Lordschaft gründete das Festival vor 31 Jahren, stellt bis heute jedes Jahr sein Anwesen als Eventlocation zur Verfügung und quartiert sogar seine Schafherde dafür übers Wochenende aus. Und er hat die Chance erkannt, das Festival of Speed zu einem Mekka der Autofans werden zu lassen, nachdem der Stern der klassischen Automessen im Sinken begriffen ist. BMW präsentiert direkt neben dem Hill Climb seinen neuen BMW M5 Hybrid und das Volumenmodell X3 – mit und ohne Stecker, während die scharfe Elektroversion des Mini Cooper JCW ein paar Meter weiter ebenfalls ihren ersten offiziellen Auftritt hat.

Ineos, Genesis, Lotus, Mercedes, Porsche oder Toyota – sie alle sind da und haben Neuheiten wie Klassiker mitgebracht, während die gerade in Europa durchstartende chinesische Marke MG vor dem Schloss mit einem Feuerwerk ihren 100. Geburtstag zelebriert. Im Minutenrhythmus donnern die Boliden den Hügel herauf; zentimetergenau vorbei an Strohballen und Absperrungen.

Tradition statt Strom

Doch die Sympathien sind klar verteilt, denn für die leistungsstarken neuen Stromer, die den Hill Climb dank Elektropower beeindruckend unspektakulär hinter sich bringen, interessieren sich nur wenige. Ganz anders sieht es aus, wenn Traditionsrenner mit ohrenbetäubendem Donnern ihr Heck auskeilen lassen oder gar Donuts drehen – das Publikum tobt, wenn Gruppe-B-Rallyeboliden nach der Bestzeit hecheln oder der neu aufgebaute Auto Union Typ 52 mit seinem 16-Zylinder zum Leben erweckt wird. Der Dreisitzer aus den 1930er Jahren war als Autobahnkurier-Fahrzeug geplant – sozusagen als Lieferdienst für Eiliges und wird von einem 520 PS starken V16-Aggregat im Heck angetrieben.

Da haben es selbst elektrische Publikumslieblinge wie die Alpine A290 oder ein MG Cyberster schwer, Aufmerksamkeit zu erhalten. Und der neue Ford Capri sorgt bei seinem ersten offiziellen Auftritt bei den britischen Sportwagenfans für Kopfschütteln. Steht doch der Name für einen leichten und günstigen Sportwagen, zu dem das frisch enthüllte Elektro-SUV aber wenig Bezug hat. Honda zeigt ausserdem erstmals seinen neuen Prelude, während MG das Tuch vom Kompakt-SUV HS zieht.

Chinesische Marken trumpfen auf

Höchste Begeisterung wecken dagegen Powerhybriden wie der BMW M5, Bentley Continental GT Hybrid, Lamborghini Urus SE oder Mercedes AMG GT 63 Pro – jeweils über 600, 700 oder gar 800 PS stark – oder ein McLaren Senna in Sempre-Lackierung. Dabei ist die Elektromobilität auch auf dem Festival of Speed durchaus ein Thema. Beim Hill Climb finden die Stromer wenig Beachtung. Aber an den Ständen der Hersteller ist das Gedränge gross.

Und einmal mehr trumpfen auch beim Festival insbesondere die chinesischen Hersteller gross auf: MG, Nio, BYD, Yangfeng, Hongqi oder Polestar trommeln im Süden Englands mindestens genauso lautstark wie bei einstigen Messeevents von Paris, Tokio, München oder Genf. Und dass nebenan im strahlenden Sonnenschein gepicknickt wird und Erdbeeren ebenso reissenden Ansatz finden wie die obligatorischen Goodwood-Devotionalien, während Pikes-Peak-Renner vorbeidonnern, macht den Event nur noch charmanter.

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