Womit verbringen Autodesigner ihre Tage? Mit dem Entwerfen von Autos, natürlich. Aber so selbstverständlich, wie man es erwarten könnte, käme diese Antwort wohl keinem Autodesigner über die Lippen. «Geschichten erzählen», darauf könnten sich dagegen alle in der Autoindustrie tätigen Kreativen – und jene, die es noch werden wollen – einigen. Denn mit dem blossen Zeichnen eines Autos ist die Arbeit heute längst nicht mehr getan.
Schade nur, dass all der Rummel, den Automobilkonzerne um ihre Modellneuheiten veranstalten, für diese Geschichten weder Zeit noch Raum lässt. Das bedauerten auch Jens Meiners (51) und Des Sellmeijer (44). Als Journalisten Teil des Rummels, aber als Fans neugierig auf die Strategien, Storys und Stolpersteine auf dem Weg zum gelungenen Autoentwurf. Im vergangenen Jahr hoben sie daher ein schlicht «Car Design Event» genanntes Klassentreffen für Autodesigner, Enthusiasten und Studierende aus der Taufe, um endlich mehr über die Philosophien der Auto-Kreativabteilungen erfahren zu können. Zwei Tage lang wurde in der Motorworld München diskutiert, einer Mischung aus Museum, Nobel-Autohandel und Heiligenschrein in den Hallen einer einstigen Eisenbahnwerkstatt. In diesem Frühling nun zum zweiten Mal.
Analog oder digital?
Dabei ging es nicht um Linienschwünge und Flächenspannung, um Tornadolinien oder das Mass zwischen Lenkrad und Vorderachse. Sondern: Wie viel Papier und Stift steckt noch im Designprozess, wenn Autos mit Virtual Reality, Renderings und Simulationen entwickelt werden? Wie transformiert man eine Marke von der Verbrenner- in die Elektrowelt? Und wie kann man überhaupt noch innovatives Design erschaffen, wenn doch jede Linie schon einmal irgendwo gezeichnet wurde?
Wenn eine Marke gefangen ist in solch festgefahrenem Design, dann kommt David Hilton ins Spiel. Das Auto-Gen erhielt er qua Geburt in der US-Motorcity Detroit, Erfahrungen sammelte er bei Ford. Inzwischen hüpft er von Marke zu Marke und half unter anderem Bentley, der Nissan-Nobeltochter Infiniti oder der China-Marke Nio auf die Sprünge. Autodesign käme nicht ohne Markendesign aus, das man notfalls sogar aus dem Nichts erschaffen könne. Beispiel GAC Motors: Wie bringt man diese chinesische Marke ohne Historie ins Kundenbewusstsein?
Die Geschichte ist entscheidend
Durch Anlehnung an die Kultur. In Europa sind Siebensitzer-Vans nur noch Nischenthema – aber in China beliebte Massenmodelle, die vom in China hochgehaltenen Familiensinn zeugen: Selbst nach dem Ende der Ein-Kind-Politik gibts in solchen Vans jederzeit genug Platz für die Grosseltern. Dass europäische Hersteller dieses Segment in China komplett ignorieren – Hilton ists ein Rätsel.
Robin Page zeichnete bis 2014 bei Bentley Innenräume, lenkte dann zehn Jahre das Volvo-Design, ist jetzt wieder zurück bei der britischen Nobelmarke – und findet sich in einem Unternehmen im Aufbruch wieder. Er sieht die Elektro-Ära als Goldenes Zeitalter des Autodesigns, weil Designer weniger Rücksicht auf die Antriebskomponenten im Unterboden nehmen müssten. Tradition und Moderne, Tasten oder Touchscreen: Vom Grossen bis ins Kleine muss er nun Antworten finden, die zur Marke passen. Selbst die Materialien sollen künftig Geschichten erzählen von Nachhaltigkeit und Handwerkskunst.
Karge Klarheit und italienischer Barock
Mazdas Europa-Designchef Jo Stenuit verleiht nicht nur Autos den letzten Schliff, sondern wirft auf jedes Detail ein Auge – von den Fotolocations für die Pressebilder bis zum Bürointerieur. Das verhindere modisches Bling-Bling und bringe stetige Evolution ins Design, ohne jedem billigen Trend nachzulaufen. Nach zehn Jahren sieht er Mazda gerade erst in Phase zwei der aktuellen Designstrategie namens Kodo. Erst habe man deren charakteristische Linien entworfen – jetzt gehe es darum, eine nach der anderen wieder wegzulassen.
Eine Geschichte wollte auch Felix Godard erzählen – die des ersten Luxusautos mit Wasserstoff-Brennstoffzelle. Für das französische Start-up Hopium zeichnete er den Machina, heimliches Highlight der sonst unheimlich langweiligen Pariser Motorshow 2022. Ins Rollen kam die 500-PS-Limousine allerdings nie. Nach einer Insolvenz hat Hopium die Autopläne aufgegeben und forscht lieber an Brennstoffzellen. Doch der Stolz auf die Studie bleibt.
Bei Paganis Codalunga, auf fünf Stück limitiert, steckt der Supersportwagen Huayra in der Hülle eines klassischen 1960er-Jahre-Rennwagens. Was für ein Unterschied zu den Nutzfahrzeug-Studien PV1 und PV7 von Kia, gegen deren nüchterne Klarheit jedes Apple-Gadget verspielt wirkt. Mercedes Concept One Eleven, das Genesis Speedium Concept oder der Ausblick auf VWs künftigen Mini-Stromer ID.2 – am Car Design Event gibts Concept Cars zum Anfassen.
Der Blick zurück
Für die grösste Überraschung sorgt aber ein ausgeblichener roter Kunststoffkeil ohne Innereien: Eine Vorstudie für einen Nachfolger des Lamborghini Countach, entworfen vom kürzlich verstorbenen Marcello Gandini (1938–2024). Dem gings aber zu langsam bei Lambo, weshalb er den Entwurf dem Ex-Lamborghini-Ingenieur Claudio Zampolli und dem Pop-Komponisten Giorgio Moroder (84) für deren Anfang der 1980er-Jahre geplanten 16-Zylinder-Supersportwagen Cizeta anbot. Die letzten 20 Jahre verbrachte die Designstudie draussen – jetzt soll sie restauriert und in München ausgestellt werden.
Doch das alles überlagernde Thema ist die künftige Rolle künstlicher Intelligenz (KI): Darf man sie im Design einsetzen? Muss man ihren Einsatz kennzeichnen? Muss man überhaupt noch selber Zeichnen lernen? Das wollen Transport-Design-Studierende der Hochschule München von den Stardesignern wissen. KI sei eine künftige Kernkompetenz, lautet die Antwort – aber man solle sich auch auf eigene Zeichenkünste verlassen können.
Aber KI sei doch längst bei chinesischen Marken im Einsatz, raunt ein Hyundai-Mitarbeiter beim Lunch. Nicht zum Entwerfen, sondern um Auto-Likes auf Social Media zu analysieren. Die beliebtesten Scheinwerfer, Heckspoiler oder Rückleuchten würden dann von menschlichen Designern zu ganzen Autos komplettiert und als neues Modell lanciert. Auch das ist eine gute Geschichte.