Fahrbericht Polestar 2
Der will Tesla weh tun

Fast alle setzen auf Elektro-SUVs, aber Volvos Sporttochter Polestar nicht: Der neue Polestar 2 ist eine edle E-Sportlimousine mit viel Reichweite. Und könnte gerade darum ausser Audi A4, BMW 3er und Co. auch Teslas Model 3 richtig weh tun, wie die Probefahrt zeigt.
Publiziert: 20.07.2020 um 16:52 Uhr
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Aktualisiert: 07.12.2020 um 13:08 Uhr
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Kurvenfreund: Der elektrische Polestar 2 der Volvo-Sportmarke ist betont dynamisch ausgelegt.
Foto: zVg
Stefan Grundhoff und Timothy Pfannkuchen

Nein, dieser Volvo-Spross wird der Konkurrenz nicht gefallen: Volvo-Designchef Thomas Ingenlath (54), zugleich CEO der Sporttochter Polestar, macht auch keinen Hehl daraus, dass der Polestar 2 vor allem Teslas Model 3 und erst dann auch Audi A4, BMW 3er, Mercedes C-Klasse und Co. im Visier hat. Der Polestar 2 könnte manche Tesla-Kunden wieder zu einer europäischen Marke zurück und jene, für die Tesla oder E-SUVs nie in Frage kamen, neu zum Strom locken.

Das Plug-in-Hybrid-Coupé Polestar 1 zum Exklusivpreis war noch ein Exot. Mit dem Polestar 2 hat diese schwedische Marke ihr erstes echtes Eigenmodell. Cool und skandinavisch gestylt, um Ende 2020 Verbrennern wie Stromern in die Suppe zu spucken.

Erstes Auto mit Google

Bereits als Vorserien-Auto bei der Fahrt auf einem Testgelände gefiel uns der 4,61-Meter-Fünftürer gut. Nun fahren wir ihn auf öffentlichen Strassen. Perfekte Einstiegshöhe, und schon der Innenraum hat einen völlig anderen Anspruch als der oft für mangelnde Wertigkeit kritisierte Tesla. Das edle Cockpit erinnert an jenes von Volvos: klar gegliederte Digital-Instrumente, Elf-Zoll-Hochkant-Touchscreen. Darin zum ersten Mal in einem Serienauto: Android Automotive OS von Google! Das eigene Google-Konto aufrufen – fertig: Alles da mitsamt Spotify und Co. und, klar, Google Maps. Man fühlt sich sofort daheim. Nur hapert es hier und da noch mit der Google-Spracheingabe von Navi-Zielen.

Kein Tablet auf Pneus

Besonders gefragt ist laut Polestar die serienmässig vegane Polsterung, Echtleder (4500 Fr.) sieht edler aus. Das Raumangebot hinten ist nur ordentlich, nicht luftig, das Ladevolumen unter der Heckklappe ist mit 405 bis 1095 Liter ähnlich: okay ja, aber kein Brüller. Unter der vorderen Haube eine 35-Litern-Ablage, perfekt für Ladekabel und Co. Wir wundern uns nur, dass es kein Head-up-Display gibt. Einen Startknopf gibts dafür auch nicht: Ein Sensor bemerkt uns, nur losfahren. Ein Tablet auf Pneus also? Gottlob gar nicht: Der Polestar 2 ist einfach ein richtig gutes Auto.

408 PS und 470 Kilometer

Der Allradantrieb und der Eingang-Automat werden von zwei Elektromotoren mit je 150 kW elektrisiert, was 300 kW (408 PS) ergibt – und gewaltige 660 Nm. Wuchtig, aber sehr harmonisch gehts in 4,7 Sekunden auf 100 km/h. Bei 205 km/h ist Schluss. Mit 19,3 kWh/100 km kommt der 78-kWh-Akku im Boden auf 470 Kilometer Reichweite im realistischen WLTP-Zyklus. Wer mit 150 kW lädt, hat den Akku in rund 40 Minuten wieder auf 80 Prozent Kapazität.

Straff, aber kurvenfreudig

Das Fahrwerk ist eher straff, mit dem «Performance»-Paket (6000 Fr. inkl. 20- statt 19-Zöller) sehr straff. Mangels Verstellbarkeit sollte man sich überlegen, ob man Sportpaket oder nicht lieber mehr Komfort will. Lenkung, Bremsen (wahlweise One-Pedal-Drive) und Rekuperation lassen sich via Touchscreen verstellen. Das Gewicht von 2,1 Tonnen ist spürbar, aber durch üppige Power und gute Gewichtsverteilung gemildert. Solange die Strassen gepflegt sind, ist alles bestens. Die Lenkung dirigiert exzellent, Kurven machen richtig Spass. Kritik? Bei starkem Bremsen spürt man Übergänge von Rekuperation zur Bremse. Dafür legt man aus jedem Tempo deftige Spurts hin – beeindruckend.

Teuer, aber nicht teurer

Nerviges Elektrosurren ist hier kein Thema – es ist einfach still. Ein gelungenes Auto, das neuen Schwung in die E-Liga und die wegen SUVs darbende Edel-Mittelklasse bringt. Nur kein billiges Auto: ab 57'900 Franken. Gesagt sei aber: In der Startversion (günstigere Typen folgen) steckt fast Vollausstattung, von Pixel-LED-Licht bis Riesen-Glasdach plus fünf Jahre Garantie und Gratisservice – und betrachtet man die Konkurrenz, kostet ein entsprechendes Modell dort ähnlich viel. Bestellen kann man gegen 1000 Franken Anzahlung bereits. Ab Ende Jahr summt der (in China gebaute, aber wie alle Volvos in Schweden entwickelte und sich auch so skandinavisch anfühlende) Elektro-Nobelhobel los.

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