Eigentlich müssten Seniorinnen und Senioren in der Schweiz sicherer Auto fahren als in unseren Nachbarländern Deutschland und Österreich. Denn seit den 1970er Jahren ist ab einem Alter von 75 Jahren (bis 2019 ab 70 Jahren) alle zwei Jahre eine medizinische Kontrolluntersuchung zur Fahrtauglichkeitsprüfung verpflichtend. Dabei klären die Hausärzte ab, ob die aufgebotenen Senioren festgelegte medizinischen Mindestanforderungen erfüllen, um ein Auto zu fahren. In Deutschland und Österreich gibts keine solche Untersuchung.
Die Beratungsstelle für Unfallverhütung BFU hat nun in einer Studie Nutzen und Folgen dieser medizinischen Abklärungen untersucht. Dafür wurden Seniorinnen und Senioren, Ärztinnen und Ärzte sowie die Strassenverkehrsämter befragt und statistische Daten einbezogen.
Unfälle mit Senioren
Das Resultat überrascht. Im Verhältnis zur täglich mit dem Auto zurückgelegten Distanz bauen Seniorinnen und Senioren in der Schweiz etwa gleich viele schwere Verkehrsunfälle wie in Deutschland oder Österreich. Das BFU schliesst daraus, dass die obligatorische Kontrolluntersuchung nur einen geringen positiven Einfluss auf die Verkehrssicherheit hat.
Dass ältere Fahrerinnen und Fahrer mehr Unfälle verursachen, als ihrem Bevölkerungsanteil entsprechen würde, zeigen die Unfallzahlen von 2015 bis 2019. Im Schnitt waren über 70 Jahre alte Personen für 323 Unfälle mit Schwerverletzten oder Toten verantwortlich, was 18 Prozent aller Unfälle bedeutet. Der Anteil der über 70-Jährigen an der gesamten Bevölkerung liegt bei 13 Prozent.
Beurteilung der eigenen Fähigkeiten
Die Umfrage bei den älteren Mitmenschen hat zudem gezeigt, dass die Kontrolluntersuchung auch kaum positive Nebeneffekte hat. So erhofften sich die Behörden, dass sich ältere Autofahrer anlässlich des Aufgebots zur Untersuchung selbst auch mit ihrer Fahrtüchtigkeit auseinandersetzen (hier findest du häufige Fehler von Senioren). Doch dies sei nicht der Fall. Wer sich selbst für fahrtauglich hält, reflektiert die eigenen Fähigkeiten nicht. Wer das Auto allerdings nur selten nutzt oder das Fahren als stressig empfindet, nimmt das Aufgebot oftmals als Anlass, den Führerausweis freiwillig abzugeben.
Potenzial für Verbesserungen
Grundsätzlich befürworten ältere Autofahrer die Kontrolluntersuchung. Viele fänden es aber gut, sie durch eine Fahrprüfung zu ergänzen oder zu ersetzen. Denn die Untersuchung sage nichts über ihr eigentliches Können aus. Weiter würden viele einen Reaktionstest begrüssen und erachten es als sinnvoll, alle paar Jahre mehrere Fahrstunden zu nehmen oder Weiterbildungen zu besuchen (lies hier über Online-Kurse für ältere Autofahrer). Die Realität zeige laut Studie aber, dass dies ohne entsprechende Auflagen nicht funktioniere. Es gäbe bereits freiwillige Angebote von Fahrerlehrern für Seniorinnen – diese würden aber nur selten gebucht.
Interessant ist auch die Sicht der Ärzte: Sie geben an, die altersbedingte Kontrolluntersuchung belaste die Beziehung zu ihren Patientinnen. Einerseits, weil wohl aus Angst vor Führerausweisverlust nicht alle Beschwerden geäussert würden. Oder weil die Beziehung zwischen Patient und Arzt erschüttert werden könnte, wenn die Kontrolluntersuchung im Ergebnis die Fahruntauglichkeit zeige.
Leben ohne Führerausweis
Offen bleibt, wie oft Seniorinnen und Senioren der Führerausweis in Folge der Kontrolluntersuchung entzogen wurde. Aus den Befragungen leitet das BFU ab, dass sich ein bis vier Prozent der untersuchten Personen als nicht mehr fahrtauglich herausgestellt haben.
Unbestritten bleibt in der Studie, wie wichtig das Auto (hier gibts die besten Autos für Seniorinnen) gerade im Alter für die Unabhängigkeit ist. Die Umfrage zeigt, dass diese Unabhängigkeit einen direkten Einfluss auf die Lebenszufriedenheit hat. Wer den Führerausweis abgeben musste, fühlt sich leicht weniger zufrieden als jene, die noch selber fahren dürfen. Bei allfälligen Anpassungen der Kontrolluntersuchung solle es deshalb in erster Linie darum gehen, die Fahrfähigkeit von Senioren zu erhalten und eine sichere Mobilität im Alter zu fördern – so fordert die Studie.
Forderungen aus der Studie
Das BFU empfiehlt, die Kontrolluntersuchung vorerst beizubehalten. Nachdem 2019 das Alter für die erste Untersuchung von 70 auf 75 Jahre erhöht wurde, solle nun abgewartet werden, wie sich dies auf die Verkehrssicherheit auswirkt. Sollte sich die Zahl schwerer Unfälle durch ältere Autofahrerinnen und Autofahrer nicht erhöhen, könnte die Altersgrenze aus Sicht des BFU gar auf 80 Jahre angehoben werden. Erst wenn auch danach keine negativen Folgen für die Verkehrssicherheit festzustellen seien, liesse sich über eine Abschaffung der Kontrolluntersuchung diskutieren.
Bis dahin fordert das BFU vor allem einheitliche Durchführungen der Untersuchungen. Heute gäbe es von Ärztin zu Arzt dabei grosse Unterschiede. Weiter solle nicht immer sofort der Führerausweis eingezogen, sondern eine eingeschränkte Fahrerlaubnis geprüft werden. Mögliche Auflagen könnten ein Nachtfahrverbot oder die Einschränkung der Gültigkeit auf die bekannte nähere Umgebung sein. Das könnte die Mobilität der Älteren sichern, ohne dass sie auf unbekannten Strecken unnötige Risiken eingehen müssten. Und schliesslich sollten älteren Autofahrern die Vorteile und die richtige Anwendung von Assistenzsystemen näher gebracht werden.