Klassik-Event «The Ice» in St. Moritz
Sehen und gesehen werden

Oldtimer und Winterschlaf? Nicht in St. Moritz GR. Auf dem gefrorenen See fand letztes Wochenende mit «The Ice» ein spektakulärer Klassik-Event statt. Mit dabei auch der rare Mercedes-Prototyp C111, gefahren vom früheren Sauber-F1-Piloten Karl Wendlinger.
Publiziert: 05.03.2023 um 11:18 Uhr
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Aktualisiert: 06.03.2023 um 08:31 Uhr
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Eis-Schaulaufen in St. Moritz. Am letzten Wochenende tummelten sich statt Pferde kostbare und rare Oldtimer wie das Mercedes-Experimentalfahrzeug C111 auf dem zugefrorenen See in St. Moritz.
Foto: Raoul Schwinnen
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Raoul SchwinnenRedaktor Auto & Mobilität

Diese Idee reifte lange. Warum nicht einmal auf dem zugefrorenen St. Moritzersee statt zu Pferd im Oldtimer übers Eis fegen? Schon 1985 nutzten autoverrückte Briten die für die traditionellen Pferderennen präparierte Bahn zum Driften in ihren klassischen Bentleys. Marco Makaus, ehemaliger Mille-Miglia-Pate und Grandseigneur der italienischen Autoszene, spann die Idee schon vor der Pandemie weiter: Zum zweiten Mal schuf er am letzten Februar-Wochenende mit dem exklusiven Klassik-Event «The Ice» in St. Moritz GR ein winterliches Gegenstück zu den noblen Oldtimer-Sommerevents bei der Villa d’Este am Comersee oder im kalifornischen Pebble Beach.

In St. Moritz gehts nicht um schnelle Zeiten, heisse Drifts oder spektakuläre Einlagen auf der eisigen Unterlage. Vielmehr versteht sich die Veranstaltung als ein rollender Concours d’Elégance mit Publikumsfaktor. Man kennt sich – und zeigt sich. Manche sogar in zum Fahrzeug passender zeitgenössischer Kleidung. In Preiskategorien wie Open Wheels, 100 Jahre Le Mans, Concept Cars oder Barchettas traten rare Klassikfahrzeuge aus der ganzen Welt zur Schönheitskonkurrenz an. Die Jury begutachtete in einem auf dem Eis improvisierten Parc Fermé – zwar hinter einer Abschrankung, aber fürs zahlende Publikum fotogen aufgereiht. Doch statt sich nur die Pneus platt zu stehen, bekamen die Oldtimer auch Auslauf: Jede Fahrzeugkategorie wurde vom herzigen VW Käfer mit Dachschild «Ice Control» aufs Glatteis geführt und defilierte für einige Runden mehr oder weniger spektakulär über den Eisparcours.

Porsche 356 mit Raupenantrieb

Die Engadiner Bergkulisse zeigte noch Bilderbuchwinter, aber die Temperaturen waren schon frühlingshaft. Keine Probleme mit dem geschmolzenen Schnee und Matsch auf dem Rundkurs hatte ein Porsche 356 mit spektakulärem Raupenantrieb, der auf Spendentour für Kinder ging. Schon schwieriger war es hingegen für den Piloten des 1958 für die zweite Auflage der «500 Miglia di Monza» (500 Meilen von Monza) geschaffenen Maserati-Einsitzers 420M/58 Eldorado. Und auch die Besatzung des grellorangen Lincoln Boana Indianapolis mit imposanter seitlicher Dreifach-Auspuffanlage hatte mit dem Untergrund zu kämpfen. Im Sulz blieb die tief liegende und nur mit Sommerreifen ausgerüstete Bertone-Studie Lancia Stratos Zero sogar stecken. Designer und Erbauer Nuccio Bertone (1914–1997) hätte sich wohl nie träumen lassen, dass sein Showbolide sich je über einen Schnee- und Eisparcours würde quälen müssen. Für mehr als einen Showauftritt am Genfer Autosalon war er nie gedacht.

Zum Lohn der Mühe kürte die Jury den kupferfarbenen Keil als bestes Auto des Concours d’Elégance – und er räumte auch einen Klassensieg ab. Die übrigen holten weitere Boliden aus Italien – allein ein Bentley S1 Continental Coupé schaffte es, sich in der Luxusauto-Kategorie Queens on Wheels zwischen die Maseratis und Ferraris zu drängen. Wie etabliert «The Ice» nach nur zwei Jahren in der Szene bereits ist, zeigt auch die Präsenz der Autohersteller. So haben Maserati, Ferrari oder auch Mercedes die Veranstaltung für sich entdeckt. Die Mercedes-Klassikabteilung brachte gleich vier Museumsexponate nach St. Moritz. Und einen berühmten Markenbotschafter dazu: Karl Wendlinger (54), im Schweizer Sauber-Team F1-Pilot der ersten Stunde.

Im Mercedes-Prototyp C111 übers Eis

Der Österreicher chauffierte uns im 1970 am Genfer Autosalon vorgestellten Mercedes-Experimentalfahrzeug C111 II über den gefrorenen See. Der orange Keil ist einer von noch 16 existierenden Exemplaren. Ein 3,5-Liter-V8 mit 200 PS treibt ihn voran. Wendlingers Versuche, den Boliden im Drift ums eisige Oval zu jagen, gelingen nur teilweise. Zu matschig ist der Untergrund und zu dicht kurven weniger geübte Piloten mit ihren Auto-Preziosen um uns herum. Genug Zeit, um über Wendlingers Karriere zu sprechen. Wie war das 1994 in Monaco, nach dem Trainingsunfall im Sauber-Boliden, als Wendlinger mit Tempo 180 und Kopf voraus in einen Behälter knallte und dann fast drei Wochen im Koma lag? «Meine erste Erinnerung, als ich im Krankenhaus erwachte: Wie komme ich hierher? Und wieso tut mein Knie so verdammt weh? Meine Mutter erklärte mir dann, was passiert war.» Knapp drei Monate später trainierte er schon wieder für sein F1-Comeback. «Das war hart. Zum ersten Mal zurück auf der Strasse fuhr ich mit meinem Privat-PW wie in Zeitlupe. Alles hupte und blinkte hinter mir, weil ich den Verkehr aufhielt. Ich konnte damals nicht schneller.»

«Musste erkennen, dass ich zu langsam war»

Doch Wendlinger arbeitete verbissen an seiner Rückkehr. Im Dezember 1994 fuhr er, trotz Kopfschmerzen, um sein Cockpit für 1995. Der Massstab war Teamkollege Heinz-Harald Frentzen. «Ich glaube, er fuhr nicht am Limit, deshalb kam ich ihm ziemlich nahe. Vor allem aber war ich schneller als die anderen Bewerber.» So gab Peter Sauber Wendlinger eine Chance und das Cockpit für 1995. «Doch nach den ersten vier Rennen musste ich erkennen, dass ich zu langsam war. Das wars mit der F1.» Er rätselt bis heute. «In den zwei Wintermonaten vor den ersten Rennen muss irgendwas in meinem Kopf passiert sein, was ich mir nicht erklären kann. Die Ärzte sagten, dass ich zwar ein normales Leben führen könne, meine Kopfverletzungen aber wohl zu stark für die Belastungen in der F1 waren.»

Wendlinger führt heute ein normales Leben, ist Vater von zwei erwachsenen Kindern, die «zum Glück nichts mit Motorsport am Hut haben», und arbeitet als Mercedes-AMG-Fahrinstruktor. Die F1 verfolgt er noch am Fernsehen, fährt oft Rennrad und liest viel – «nicht nur über Sport». Mit dem Schicksal hadert er dagegen nie und gönnte seinen Kollegen ihre Erfolge: «Ich konnte es ja nicht ändern.» Umso mehr Zeit bleibt ihm nun, abgefahrene Klassik-Events wie «The Ice» zu geniessen. Selbst wenn ihn der Matsch einbremst.

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