«Hurraaaa, es ist wieder Goodwood!», freut sich Claire. Die Mittfünfzigerin – geschätzt, die Höflichkeit verbietet ein Nachfragen – strahlt mit der Sonne um die Wette. Claire hat trotz verstopften Strassen und langer Schlange vor dem Eingang das Anwesen von Lord March im malerischen Sussex rechtzeitig erreicht. Natürlich passend gekleidet im gepunkteten Sommerkleid im Stil der 1950er- und 60er-Jahre. Schliesslich schreibt der Dresscode des legendären Goodwood Revivals historische Kleidung vor. In der rechten Hand ein Glas Champagner tänzelt sie an uns vorbei. «Ich muss weiter, da hinten steht meine beste Freundin. Wir haben uns seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen», flötet sie fröhlich.
Wie Karneval mit Autos – das bringt den Kern des Goodwood Revival auf den Punkt. Wie beim Festival of Speed und dem Members Meeting räumt Lord March seinen Park leer für ein Wochenende mit Schirm, Charme und Motoren. Der Event zelebriert Britishness with Style: Steife Anzüge, imposante Hüte und abgespreizte kleine Finger, wenn man zur Teetasse greift. Zum historischen Outfit gibts dann die passenden Autos früherer Jahrzehnte. Schon draussen auf den riesigen Parkfeldern rings um die historische Rennstrecke Goodwood Circuit stehen unzählige Preziosen, die Autofan-Herzen höherschlagen lassen. Da funkeln Ford Mustangs aus den 1960ern neben historischen Porsches mit Oldies aus der Blütezeit des britischen Automobilbaus um die Wette: Range Rover Series, Jaguar E-Type – ja wir entdecken sogar einen Aston Martin DB 2/4 Mk I aus dem Jahre 1953.
Es geht um Spass und Geld
Riesenrad und ein klassisches Karussell aus den 1950ern vermitteln Volksfestcharakter. Aber spätestens das grosse Bonhams-Zelt auf dem Festareal macht klar, dass es beim Goodwood Revival Festival nicht nur um Spass, sondern auch ums Geld geht. Das bekannte Auktionshaus bietet an diesem Wochenende insgesamt 115 Fahrzeuge feil. Den Höchstpreis erzielt aber nicht etwa einer der zahlreichen britischen Oldtimer von Aston Martin oder Bentley, sondern ein Mercedes SLR Roadster – der für 690’000 britische Pfund (ca. 760’000 Fr.) seinen Besitzer wechselt. Dagegen müssen viele Besitzer klassischer Fahrzeuge, die auf einen satten Gewinn hofften, mit langen Gesichtern den Heimweg antreten. Offenbar scheint sich die angespannte Wirtschaftslage jetzt doch auch aufs Oldtimer-Geschäft auszuwirken.
Wer sich in den kleinen weissen Zelten genauer umschaut, entdeckt weitere automobile Kleinode zum Verkauf. Da steht etwa ein blauer De Tomaso Pantera GTS aus dem Jahre 1973 direkt neben einem unlackierten Jaguar XK150 Drophead von 1960. Den Preis für den Jaguar erfahren wir allerdings nicht, er befände sich ja noch in der Restaurationsphase. Aber auch modernere Schätze warten auf neue Besitzer. Ein herrlicher Lancia Delta Integrale Evo 2 für 105’995 Pfund (ca. 116’700 Franken) oder ein Alfa Spider 1750 Veloce für 59’995 Pfund (ca. 66’100 Franken). Ein «Verkauft»-Schild sieht man allerdings selten. Neben den Fahrzeugen werden automobile Memorabilien zuhauf angeboten: T-Shirts, klassische Schlüsselanhänger oder auch Ersatzteile wie Embleme, Lenkräder oder Gangknüppel.
Doch diese Zeltstadt ist nur das Vorspiel. Wer sich durch die Menschenmassen zum Herzen des Festivals, der Rennstrecke, vorgearbeitet haben, dessen Puls geht nochmals ein gutes Stück nach oben. Und das liegt nicht nur am bisweilen ohrenbetäubenden Lärm, wenn im Fahrerlager die Triebwerke aufgewärmt werden. Denn hier dürfen die Meisterwerke der Motorbaukunst noch ungehemmt aus ihren acht, zehn oder zwölf Zylindern brüllen.
Höhepunkt sind die Rennen
Den ganzen Tag finden auf dem Goodwood Circuit Oldtimer-Rennen statt, bei denen die Besitzer der teils raren Boliden ohne Rücksicht auf Verluste sozusagen mit dem Messer zwischen den Zähnen um jeden Zentimeter kämpfen. Bei der Freddie March Memorial Trophy liefern sich ein Jaguar C-Type, ein Aston Martin DB3S und ein quirliger Allard J2X aus den 1940ern und 1950ern ein hartes Duell. Bei der Goodwood Trophy rasen legendäre Monoposti wie ein Maserati 6CMs oder ein Alfa Romeo P3 über den Asphalt. Natürlich fehlen auch klassische Ferraris wie der 250 SWB oder legendäre F1-Boliden aus den 1950ern nicht. Die Freunde historischer Motorräder kommen schliesslich bei der Barry Sheene Memorial Trophy auf ihre Rechnung. Und selbst für die jüngsten Festival-Besucher gibts eine eigene Trophy – sie messen sich an einem kleinen Hügel in klassischen Seifenkisten.
Sehr traditionell gehts jeweils am Samstagabend zu und her, wenn Lord March seine von Hand verlesene Gästeschar zum exklusiven Dinner lädt. Dann vollführen am Himmel Spitfire-Jagdflugzeuge aus dem Zweiten Weltkrieg halsbrecherische Manöver, dazu wird zum Apéro reichlich Champagner gereicht, ehe es dann zum Fest-Dinner geht. Und dann kommt der Zeitpunkt, an dem die Erinnerung an die kürzlich verstorbene Queen Elizabeth II. dann doch das Röhren der Motoren zum Verstummen bringt. Überall hängen Plaketten mit ihren Insignien und am Ende des festlichen Dinners wird ein Toast ausgesprochen, bei dem der ganze Saal zweimal «Es lebe der König» ruft. Anschliessend stimmt die ganze Gesellschaft in die Nationalhymne «God save the King» ein. Alleine schon für dieses Schauspiel lohnte sich unser stundenlanges Anstehen.