Very British stehen sie brav in Reihe, mitten im, kein Scherz, frei zugänglichen Fahrerinnen- und Fahrerlager. Worauf warten alle? «Auf unsere Helden», sagt eine Frau mit pinkem Haar. Wir sehen so Rennlegenden wie Nigel Mansell (68) in jenem Williams, in dem er 1992 F1-Weltmeister wurde. Damon Hill (61) huscht durch. Hans-Joachim «Strietzel» Stuck (71) pilotiert den 1936er Auto Union Typ C. Man raunt, Jackie Stewart (83) sei da. Und Fussballer David Beckham (47) – was hier für einmal niemand recht interessiert.
Willkommen am Festival of Speed (FoS) in Goodwood (GB), der Motorsport-Party der Superlative für Rennlegenden aus Blech und Blut, für Adel, Geldadel und Menschen wie du und ich. Die dreitägige Spritsause auf dem Anwesen des Lord March (67, eigentlich Charles Gordon-Lennox, Duke of Richmond) belebte 1993 die 1966 dort eingestellte Tradition von Autorennen wieder. Man munkelt, seine Blaublüterschaft habe so den Unterhalt des Anwesens bestreiten wollen.
Kapitalisiert und sozialisiert
Von Zehntausenden ist das dreitägige FoS seither auf über 200'000 Besucher explodiert und von der Oldie- auch zur Neuwagen-Schau expandiert: In Zeiten, in denen Autosalons out sind, balgen sich McLaren oder Porsche um ein Stelldichein. BMW hat die gigantische Skulptur am Schloss gemietet, um fünf historische Rennwagen aufzuhängen. Europa-Newcomer Genesis ist da (siehe Box). Über uns je nach Tageszeit mal Reifenqualm, mal die Kunstflug-Staffel.
Am Aventador eines Lambo-Händlers spielt eine Saxofonistin. Das Lied des Kapitalismus? Einerseits: Noch vor 20 Jahren ein Oldie-Picknick distinguierter Renn-Gentlemen, ist das FoS zum Volksfest XXL geworden. Man trägt heute oft Baseball-Cap statt Strohhut, isst Hotdogs statt Fish and Chips, trinkt Bier statt Champagner. Hier und da endet die Partylaune in Peinlichkeiten, her Majesty wäre not amused. Kinderwagen und Selfiesticks sind nun häufig, Blazer mit güldenen Knöpfen selten. Andererseits: Der einst elitäre Event ist sozialisiert, nun für alle da, ein Volksfest im besten Sinne. Was in der englischen Klassengesellschaft durchaus ein Fortschritt ist. Das «Woodstock auf Rädern», nennt ihn Ex-F1-Pilot Patrick Tambay (73).
Ikonen zum Anfassen
Die Autos sind Ikonen zum Fühlen, Sahnestücke zum Streicheln, keine Kordel sperrt sie ab, Anfassen und Smalltalk erwünscht. Zum 75. Markenjubiläum sind unzählige Ferraris da. Wir sehen vier McLaren F1 aus den 1990er-Jahren. Links GP-Rennwagen aus den 1930er-Jahren wie ein gigantischer Napier-Railton, geradeaus die Töffs, hinten neuere Driftmobile à la Nissan Silvia wie aus «The Fast and the Furious».
Viele Autohersteller nutzen das Goodwood Festival of Speed, um Neuheiten zu enthüllen oder Prototypen zu zeigen. Alfa Romeo etwa fährt den Tonale auf, Polestar den getarnten 5, Porsche den neuen GT4-E-Performance-Renner oder Mercedes den 1000-Kilometer-Stromer EQXX. Zum ersten Mal dabei ist die 2021 in Europa gestartete Hyundai-Tochter Genesis. Im Blickpunkt stehen die Elektroautos: der Electrified G80, der GV60 und – erstmals in Europa zu sehen – der Electrified GV70 (Bild). Der SUV startet mit 490 PS (360 kW) diesen Herbst.
Viele Autohersteller nutzen das Goodwood Festival of Speed, um Neuheiten zu enthüllen oder Prototypen zu zeigen. Alfa Romeo etwa fährt den Tonale auf, Polestar den getarnten 5, Porsche den neuen GT4-E-Performance-Renner oder Mercedes den 1000-Kilometer-Stromer EQXX. Zum ersten Mal dabei ist die 2021 in Europa gestartete Hyundai-Tochter Genesis. Im Blickpunkt stehen die Elektroautos: der Electrified G80, der GV60 und – erstmals in Europa zu sehen – der Electrified GV70 (Bild). Der SUV startet mit 490 PS (360 kW) diesen Herbst.
Unser Highlight unter den Oldtimern ist dieses Jahr ein Einzelstück: In Paris baute Bucciali einst nur eine Handvoll Luxusautos. Nur drei überlebten – darunter dieser 1932er Flèche d'Or mit V12-Motor von Voisin. Allerdings steht der Bucciali brav auf dem Green, und so sterile Sammlungs-Stehzeuge sind hier die Ausnahme: Zum Fahren dienen über 700 (!) andere Fahrzeuge. Schon mal einen Audi Sport Quattro S1 oder Lancia Delta S4 aus der Rallye-Gruppe B live gehört, einen Blower-Bentley oder einen alten F1-Renner?
Augenzwinkerndes Rennen
Denn zwischen all den Buden, die Werkzeuge oder Autos oder Gartenmöbel verkaufen, der Elektro-Halle für moderne E-Autos, den Tunern, Teilehändlern und Tätowierern geht fast unter: Das FoS ist ein Autorennen! Ein gerüttelt Mass an skurriler Britishness bringt der «Hill Climb» freilich mit sich. Das, räusper, «Bergrennen» überwindet auf 1867 Metern den Höhenunterschied von nur 92,7 Metern. Schweizer schmunzeln. Aber statt Pflicht zählt die Kür, Rennen mit Augenzwinkern: Es geht um Spass statt Sieg.
Dann fahren wir mal! Nein, nicht selbst, aber Genesis lädt zum Mitfahren im kompakten Elektro-Crossover GV60. Unser Pilot heisst Gethin Jones (52), ist aus Wales, bläst mit bis zu 170 Sachen durch die engen Kurven und erzählt uns am Grenzbereich dank Stille im Stromer Schwänke aus seiner Rallye-Karriere.
Mit dem Föhn zum Sieg
Ui, geht das E-Ding ab – aber fast aufregender ist es, danach zurückzugleiten und Abertausenden Menschen hinter Heuballen-Absperrungen zuzuwinken. Vor und hinter uns die aktuelle Hypersportwagen-Klasse. Mehrere Bugatti Veyron zum Beispiel, Singer-Porsche, drei Koenigseggs, Hispano Suiza Carmen und Rimac Nevera sind etwa dabei oder das spektakuläre 1980er-Einzelstück Aston Martin Bulldog.
Die besten Boliden brauchen für die Rennstrecke 45 Sekunden. Heuer egalisiert mit 39 Sekunden ein britischer Exot alle Ex-Bestzeiten und surrt zum Raunen des Publikums wie im Zeitraffer elektrisch vorbei. Längst ist Strom auch hier der neue Sprit. Der McMurtry Spéirling ist ästhetisch gelinde gesagt unbekümmert, aber saugt sich dafür, ohne Witz, per Ventilator im Unterboden auf der Piste fest. «The fan car» wird das 1000-PS-Teil gerufen – denn es funktioniert wie ein Föhn und tönt auch ein wenig so. Verrückt? In Goodwood sagt man dazu vornehm «exzentrisch».