Ohne den Stern gäbe es heute keine vier Ringe
Wie Mercedes Audi neu erfand

Unglaublich, aber wahr: Ohne Mercedes gäbe es Audi nicht mehr – und ohne Audi gäbe es VW nicht mehr. Blick erzählt den zwar komplizierten, aber hochspannenden Auto-Wirtschaftskrimi.
Publiziert: 29.11.2019 um 15:56 Uhr
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Aktualisiert: 06.08.2022 um 12:42 Uhr
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Aller Audi Anfang: Als Mercedes einsteigt, heisst die Marke der Auto Union noch DKW. Schon der DKW F 102 von 1963 ...
Foto: zvg
Timothy Pfannkuchen

Ein Werktag im Jahr 1958. Über der Daimler-Benz AG im deutschen Stuttgart-Untertürkheim strahlt die Sonne, aber in der Teppichetage ist die Stimmung düster. Die Direktoren – so hiessen Manager damals noch – beugen sich mit Sorgenfalten in der Stirn über Zahlenkolonnen. Sie haben ein Luxusproblem: Bei Mercedes brummt es. Das Wirtschaftswunder verlangt Nutzfahrzeuge und Nobelautos. Die nur 13 Jahre nach Kriegsende auch in Übersee längst wieder gefragten Schwaben haben fast das Monopol auf Luxus: Cadillac? Zu Ami. Rolls und Jaguar? Kleine Fische. BMW? Quasi pleite. Horch oder Audi oder andere? Haben den Krieg nicht oder nur rudimentär überlebt.

Aber wo soll man bloss all die Mercedes bauen? Friedrich Flick (1883–1972), noch wenige Jahre zuvor als Nazi-Kriegsverbrecher verurteilt, ist längst wieder einer der reichsten Deutschen. Der Industrielle hat eine Idee: Wieso nicht das Werk Düsseldorf der Auto Union (bis heute baut Mercedes dort Laster) übernehmen? Bei der Flick – so ein Zufall – ebenso Grossaktionär ist wie bei Daimler. 1958 kauft Daimler die Auto Union – die eigentlich längst keine «Union» mehr ist.

Audi ist längst vergangen

Denn von vier (daher übrigens auch die vier Ringe im späteren Audi-Logo) Auto-Union-Marken sind bereits drei tot: Horch, die daraus einst nach einem Rechtsstreit parallel hervorgegangene Marke Audi (Latein für «Horch!») und Wanderer. Die vierte, DKW in Ingolstadt, hat nur Kleinwagen mit heulenden Zweitaktern, deren Zeit längst abläuft. Warum also nicht DKW umkrempeln und zum zweiten Mercedes-Standbein ausbauen? Der hoch geachtete Mercedes-Entwicklungsvorstand Fritz Nallinger (1898–1984) schickt daraufhin nur seine besten Leute zu DKW. Darunter sogar seinen legendären Chefentwickler Ludwig Kraus (1911–1997).

Schwaben gegen Bayern

Aber DKW zickt: Die Bayern sehen im Gegensatz zu den Schwaben nicht, dass sie so schon längst gar keine Zukunft mehr haben – und verweigern sich den neuen Chefs, ja wollen nicht mal den modernen «Mitteldruck»-Viertakt-Motor haben, den Kraus extra für DKW entwickelt. Nallinger zickt zurück und lässt Kraus den Prototyp W 118 bauen: eine Art frühen Baby-Benz! Die Botschaft: Wir können diesen hübschen künftigen DKW sonst auch einfach selbst als kleinen Mercedes bauen.

Erst das wirkt, DKW versteht, dass es ohne Stuttgarts prall gefüllte Kassen bald aus wäre. Als DKW 1963 den F 102 lanciert, sieht er aus wie der W 118. Aber DKW hatte dann doch noch so lange gegen die neuen Herren im Haus gestänkert, dass nun der F 102 stinkt: DKW-Zweitakt-Motoren! Die Kunden lächeln nur milde und kaufen woanders ein, und DKW gibt endgültig auf: Der Ex-«Silberpfeil»-Ingenieur Kraus wird in Ingolstadt zum Technikchef, und na gut, der neue DKW soll seinen Motor bekommen.

Mercedes hat die Nase voll

Doch nun rappelt es weiter oben im Konzern: Was der nächste DKW nicht mehr haben wird, ist Mercedes als Übermutter. Beim Benz verkauft man begehrte Staatskarossen und berauschende Flügeltürer wie frische Weggli und braucht weder die von Kraus inzwischen zum viertürigen Mercedes W 119 weiter gedachte Limousine als Abrundung des Sterns nach unten noch nervige, finanziell sieche Töchter. Die Schwaben haben die Nase voll: 1965 wird die Auto Union an den etablierten Autoriesen Volkswagen weiterverkauft. Aber Kraus bleibt zum Entsetzen von Mercedes trotzdem als Cheftechniker bei DKW: Er hat mit Ingolstadt noch was vor.

Prompt gerät Kraus mit seinem neuen Boss, VW-Tycoon Heinrich Nordhoff (1899–1968), aneinander: Nordhoff sieht DKW nur als weiteres VW-Käfer-Werk und verbietet Kraus, weitere Autos zu entwickeln. Nur der F 103 – ein gelifteter F 102, nun aber mit Kraus' Viertakter – soll noch schnell lanciert werden, weil er eh fertig ist. Wegen des Zweitakt-Images soll er jedoch nicht mehr DKW heissen. Gut, hat Wolfsburg mit der Auto Union deren Vorkriegs-Markennamen mitgekauft: Nennen wir ihn doch Audi, noch ist dieser Name nicht ganz tot. Und 1965 kommt so der erste Nachkriegs-Audi (der spätere Audi 60/75/90) auf den Markt.

VW will erst keine Audis

Nordhoffs erhobener Zeigefinger kann Kraus freilich nicht bremsen: Er weiss, was sein W 119 konnte – und Nordhoff weiss noch nicht, das Kraus bald damit seinen Konzern retten muss. Nach Feierabend entwirft Kraus heimlich den ersten Audi 100. Als er fertig ist, zeigt er ihn Nordhoff. So! Der ist überrascht. Und wider Erwarten begeistert. Nordhoff strahlt, Kraus strahlt mit: Der A6-Urahn 100 wird gebaut.

Mit dem 100 beginnt 1968 Audis zweite Karriere – und Volkswagens Rettung. Nur, weil der 100er läuft, darf Kraus den kleineren Audi 80 entwerfen. Derweil gerät VW, gerade noch gut in Form, schwer in die Bredouille: Weil der Käfer noch lief und lief, hatte Nordhoff die Zeitzeichen ignoriert und weiterhin aufs veraltete Heckmotor-Prinzip gesetzt. Bis es zu spät ist: Der «Nasenbär» 411/412 floppt 1968 ganz furchtbar.

VW steht vor dem Aus

Selbst der schnell von der ebenfalls eingekauften Neutochter NSU zum VW geklonte K 70 punktet trotz Frontmotor nicht: ein modernes Auto, aber kein VW. Im Keller schlummert bei VW zwar ein Käfer-Nachfolger – aber der EA 266, entwickelt übrigens vom späteren VW-Boss Ferdinand Piëch (1937–2019), trägt Mittelmotor. Mit dem wäre er kein «Volks-Wagen», sondern teuer wie ein Audi 100. Zeit und Geld laufen davon, die Kunden kaufen zunehmend moderne Konkurrenten wie Opel Kadett oder Renault 16 statt Käfer und «Nasenbär». VW ist am Ende. Existenzbedrohend am Ende.

Der VW-Retter heisst Audi

Doch Audi-Technikchef Kraus hat ja für 1972 bereits den Audi 80 fertig – ein modernes Auto, ein potenzieller Bestseller. VW bastelt ein Schräg- und Kombiheck an die Limousine – fertig ist der erste VW Passat. Er wird ab 1973 sofort zum Hit und gewährt VW jene finanzielle Atempause, um den Käfer-Erben Golf I (1974) neu und fertig zu entwickeln. Für das Design wird Giorgio Giugiaro (81) engagiert – dank Kraus, für den Giugiaro den 80er geformt hatte. Und noch ein dritter Kraus macht VW wieder mit gross: Der 1974er Audi 50 wird ab 1975 als Audi kaum gekauft, aber als baugleicher erster VW Polo begehrt.

Der einst von Mercedes als DKW-Retter entsandte Audi-Durchstarter und VW-Retter Kraus ist da schon zwei Jahre in Rente. VW läuft es später dank der neuen Modelle derart gut, dass man sich leisten kann, Audi weiter gedeihen zu lassen und zur Edelmarke auszubauen. So wird ironischerweise eine Marke zum Mercedes-Konkurrenten, die nur dank Mercedes überhaupt überlebt hat.

Ärgerlich für Mercedes? Ach, Unsinn: Ohne den Wettbewerb mit der neu erfundenen Marke Audi und vor allem mit BMW (die Marke wäre 1959 um ein Haar ebenfalls von Mercedes gekauft worden – sie Kasten unten) wäre Mercedes nie im harten Kampf um Kunden geworden, was es heute ist: Konkurrenz belebt das Geschäft.

Fast hätte Mercedes auch BMW gekauft

autoIronie der Auto-Geschichte: Wäre eine andere bayerische Marke nicht ebenso zickig gewesen wie DKW, hätte der Stern diese anfangs widerspenstigen vier Ringe und somit den Markennamen Audi wohl ihrem Schicksal überlassen. Denn die Deutsche Bank – als beider Grossaktionär – hatte 1959 bereits den Verkauf der damaligen Pleitemarke BMW (wo nur der veraltete Iso-Lizenbau Isetta und der teure Flop «Barockengel» 501/502 entstanden) an Mercedes eingefädelt. Nur ein juristischer Trick von Kleinaktionären in der BMW-Hauptversammlung wendete das in der wirklich allerletzten Minute haarscharf ab. Anderenfalls hätte Mercedes wohl eher in die Marke BMW als in die Auto Union bzw. somit Audi investiert. So aber blieb BMW eigenständig. Der heute vergessene Käfer-Konkurrent BMW 700 (Bild) brachte dann Geld in die Kasse und so Investoren an Bord: BMW startete durch, entwickelte die «Neue Klasse» und wurde zum Mercedes-Konkurrenten. Aber das ist eine andere Geschichte ... .

autoIronie der Auto-Geschichte: Wäre eine andere bayerische Marke nicht ebenso zickig gewesen wie DKW, hätte der Stern diese anfangs widerspenstigen vier Ringe und somit den Markennamen Audi wohl ihrem Schicksal überlassen. Denn die Deutsche Bank – als beider Grossaktionär – hatte 1959 bereits den Verkauf der damaligen Pleitemarke BMW (wo nur der veraltete Iso-Lizenbau Isetta und der teure Flop «Barockengel» 501/502 entstanden) an Mercedes eingefädelt. Nur ein juristischer Trick von Kleinaktionären in der BMW-Hauptversammlung wendete das in der wirklich allerletzten Minute haarscharf ab. Anderenfalls hätte Mercedes wohl eher in die Marke BMW als in die Auto Union bzw. somit Audi investiert. So aber blieb BMW eigenständig. Der heute vergessene Käfer-Konkurrent BMW 700 (Bild) brachte dann Geld in die Kasse und so Investoren an Bord: BMW startete durch, entwickelte die «Neue Klasse» und wurde zum Mercedes-Konkurrenten. Aber das ist eine andere Geschichte ... .

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