China macht seine Drohung wahr: Am Donnerstag haben die grössten Militärmanöver der Geschichte um Taiwan angefangen. Die vom chinesischen Festland rund 160 Kilometer entfernte Insel wird praktisch blockiert. Ab Freitag finden auch Übungen mit scharfer Munition statt.
Die Manöver sind die Reaktion Pekings auf die Taiwan-Reise von Nancy Pelosi (82), der Mehrheitsführerin im US-Repräsentantenhaus. Die Nummer drei der USA hat am Dienstag trotz Protests aus Peking und Warnung von US-Präsident Joe Biden (79) die taiwanesische Staatspräsidentin Tsai Ing-wen (65) in Taipeh besucht.
Experten sind sich einig, dass das Risiko eines militärischen Angriffs der Chinesen gegen das demokratische Taiwan klein ist. «An einem Krieg hat niemand Interesse», sagt China-Experte Ralph Weber (47) von der Uni Basel gegenüber Blick. Dennoch: Auszuschliessen ist dieses Szenario nicht.
Kann sich Taiwan alleine wehren?
Wie würden die USA reagieren? Präsident Biden hat im Mai erneut betont, dass er Taiwan im Falle eines chinesischen Angriffs helfen würde. Allerdings hat Biden nicht konkretisiert, wie die militärische Antwort der USA aussähe.
Für den Strategieexperten Mauro Mantovani (58) von der Militärakademie der ETH besteht das wahrscheinlichste Szenario darin, dass die USA zuerst abwarten und beobachten würden, ob Taiwan den Angriff alleine abwehren kann. «Die Chance dazu besteht durchaus, da sich Taiwan seit Jahrzehnten mit US-High-Tech-Waffen auf eine chinesische Invasion vorbereitet», sagt Mantovani zu Blick. So verfüge Taiwan unter anderem über eine Reihe von US-Luftabwehrmitteln wie Patriot und Stinger.
Ansonsten gäbe es wohl eine «sub-äquivalente» Reaktion der USA. Damit meint Mantovani eine militärische Reaktion auf eine militärische Aktion – jedoch auf etwas niedrigerer Stufe als der Erstschlag –, was «robust und gesichtswahrend, aber gleichzeitig deeskalierend» erscheinen soll. «Das könnte zum Beispiel ein Schuss vor den Bug eines chinesischen Schiffes oder Flugzeuges sein, sobald dieses ins Hoheitsgebiet Taiwans eindringt», meint Mantovani.
Auch USA werden wohl drohen
Für Mantovani ist es am wahrscheinlichsten, dass es bei Drohungen bleiben und zu einer Blockade kommen werde. In diesem Fall rechnet er damit, dass die Amerikaner eine Luftbrücke einrichten und mit Gegendrohungen reagieren würden. «Es ist denkbar, dass es als Abschreckung zu einer erneuten Durchfahrt eines US-Flugzeugträgers durch die Strasse von Taiwan kommen wird.»
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Das war in den vergangenen Jahrzehnten schon vereinzelt der Fall. Zum Beispiel 1995, als China in den Gewässern vor Taiwan eine Reihe von Raketentests durchführte. Die US-Regierung um Präsident Bill Clinton (75) entsandte Kriegsschiffe in die Region, von denen mehrere – darunter auch Flugzeugträger – zur Abschreckung die Taiwanstrasse durchfuhren.
Damals mussten die Chinesen eingestehen, dass sie gegen die US-Streitmacht keine Chance gehabt hätten. Inzwischen haben sich die Machtverhältnisse verändert. Mantovani: «China hat in den vergangenen Jahren im Raum der inneren Inselkette nahezu Parität zu den US-See- und Luftstreitkräften erlangt, sodass es US-Aktionen ernsthaft gefährden kann.»
Wie weit China noch gehen wird und wie die USA tatsächlich reagieren würden, könne man zurzeit nicht beurteilen. Mantovani: «Beide Seiten haben kein Interesse an einer Eskalation der Konfrontation, müssen jedoch ihr Gesicht wahren, was die Krise gefährlich macht.»