Parlamentarier verlangen eine Kurskorrektur: Die Schweiz soll ihre Taiwan-Politik anpassen. Mit 129 Ja- zu 43 Nein-Stimmen hatte der Nationalrat – zum Missfallen von Aussenminister Ignazio Cassis (61) – letzten September vorgespurt. Die grosse Parlamentskammer hiess damals einen Vorstoss der Aussenpolitischen Kommission gut, der Massnahmen zur Verbesserung der Beziehungen zu Taiwan fordert.
Der Bundesrat hatte den Vorstoss abgelehnt, und Cassis argumentierte im Rat, man erkenne den demokratischen Charakter der taiwanesischen Behörden und Gesellschaft. Aber die Schweiz verfolge seit 1950 eine Ein-China-Politik, wonach Tawain zu China gehört. Da man deshalb Taiwan nicht als unabhängigen Staat anerkennen könne, seien auch politische Beziehungen ausgeschlossen, verteidigte Cassis die über 70 Jahre alte Haltung.
Klatsche für den Bundesrat
Doch das Parlament verpasste der Landesregierung eine Klatsche: Im Verhältnis 3:1 stimmte der Nationalrat einer Vertiefung der Beziehungen zu. Nicht einmal die SVP-Fraktion, die sich gegen den Vorstoss ausgesprochen hatte, stimmte geschlossen Nein.
Aussenpolitiker Fabian Molina (32), der massgeblich hinter dem Postulat steht, macht nun klar, dass es nicht um eine plötzliche Abkehr von der Ein-China-Politik geht: «Es wäre jetzt nicht hilfreich, wenn die Schweiz alleine mit einer Anerkennung Taiwans als eigenständiger Staat vorpreschen würde.»
Mittelfristige Anerkennung
Der SP-Politiker will nach der Stippvisite von US-Spitzenpolitikerin Nancy Pelosi (82) nicht noch Öl ins Feuer giessen. Er findet jedoch: «Wir sollten unseren Spielraum nutzen.» Erstens solle die Schweiz die Beziehungen zu Taiwan verbessern und intensivieren. Zweitens müsse die Schweiz klarmachen, dass eine militärische Intervention Chinas im Inselstaat einen massiven Bruch des Völkerrechts darstellen würde, auf den die Staatengemeinschaft eins zu eins reagieren müsste wie auf den Einmarsch der Russen in der Ukraine.
Und drittens: «Mittelfristig muss die Schweiz gemeinsam mit anderen Ländern Taiwan als das anerkennen, was es faktisch ist: ein eigenständiger demokratischer Staat.»
Keine Unterstützung Chinas
Für Mitte-Fraktionschef Philipp Matthias Bregy (44) bedeutet die Unterstützung der Ein-China-Politik nicht, «dass wir uns einseitig auf die Seite Chinas schlagen.» Für ihn spiegelt dies mehr die zurückhaltende Haltung der Schweiz in solchen Fragen ausserhalb von Kriegen.
Aber: «Wie der deutsche Bundestagsabgeordnete Röttgen verurteile ich die militärischen Drohgebärden Chinas in der aktuellen Situation – sowie erst recht die Drohung, militärische Gewalt gegen Taiwan anzuwenden», sagt der Mitte-Fraktionspräsident. CDU-Politiker Norbert Röttgen (57) hatte die Reaktion Chinas auf Twitter als «inakzeptabel» bezeichnet. Bregy ergänzt: Diese Haltung teile er, auch wenn er sich von Pelosi in der weltpolitisch ohnehin schwierigen Situation mehr diplomatisches Fingerspitzengefühl gewünscht hätte.
So oder so, für Bregy ist klar: «In einer freiheitlichen Welt muss es möglich sein, dass Vertreter eines Staates Taiwan besuchen.» Bei GLP-Sicherheitspolitiker Beat Flach (57) klingt es ähnlich: «Ich war mehrfach in Kontakt mit Vertretern Taiwans. Die Menschen, die dort leben, fühlen sich nicht China zugehörig.» Darum spricht auch Flach sich für eine vorsichtige Feinjustierung der Taiwan-Politik aus: «Ich fände es richtig, wenn man den heutigen Status quo sichern könnte.»
Freihandelsabkommen
Einer der SVP-Nationalräte, die sich für engere Beziehungen zu Taiwan ausgesprochen haben, ist Christian Imark (40). Er erklärt zwar: «Als Mitglied der parlamentarischen Freundschaftsgruppe Schweiz-Taiwan verurteile ich die Provokation der amerikanischen Parlamentsvorsitzenden Pelosi gegenüber China, die sich als Eigentor erweisen könnte.» Und als neutraler Staat liege es in unserem Interesse, sowohl zu China als auch zu Taiwan gute und freundschaftliche Beziehungen zu pflegen.
Aber: «Der Bundesrat soll laufend prüfen, ob seine Position gegenüber Taiwan noch richtig ist. Angesichts der wirtschaftlichen Bedeutung Taiwans wäre etwa ein Freihandelsabkommen anzustreben – was bisher nicht möglich war.» In jedem Fall müsse man jedoch darauf achten, China nicht unnötig vor den Kopf zu stossen.
Austausch mit Vertretern beider Seiten
Imarks Parteifreund Roland Rino Büchel (56), der sich im Herbst beim Postulat der Stimme enthalten hatte, findet es unnötig, dass Pelosi nach Taiwan reiste. Und er ist klar dagegen, dass die Schweiz das Land anerkennt. Dennoch trifft sich der Aussenpolitiker nicht nur mit dem chinesischen Botschafter. Er ist auch im Austausch mit dem Vertreter Taiwans – dessen Funktion die offizielle Schweiz als Folge der Ein-China-Politik nicht anerkennt.
Wirtschaftliche und politische Beziehungen bestehen längst mit Taiwan. Vor dem Hintergrund des Überfalls Russlands auf die Ukraine und Chinas Drohungen gegen Taiwan ist der Wille im Parlament weiter gewachsen, Taipeh entgegenzukommen.