Nancy Pelosi (82) ist kurz vor 23 Uhr Ortszeit in Taiwan gelandet. Die Sprecherin des US-Repräsentantenhauses zieht mit ihrem historischen Besuch den Zorn Chinas auf sich. Peking hat in einer ersten Reaktion bereits mit den Muskeln gespielt und Kampfjets wie auch Kriegsschiffe losgeschickt. Auch das Militär in Taiwan macht sich bereit. Eine militärische Eskalation wird von Experten früher oder später erwartet.
Doch was würde eine chinesische Invasion in Taiwan für die Schweiz und die Weltwirtschaft bedeuten? «Ein militärischer Konflikt in Taiwan hätte viel schwerwiegendere Folgen für die Weltwirtschaft als der aktuelle russische Angriffskrieg in der Ukraine», sagt Peter Bachmann (49), Leiter der Schweizer Handelskammer in Shanghai. «Die Aktienmärkte weltweit würden in sich zusammenfallen – und das nicht nur für einige Tage oder Wochen, sondern bis auf Weiteres.»
«Gefahr besteht, dass man in China den Kopf verliert»
Taiwan spielt eine wichtige Rolle für Chinas mögliche zukünftige globale Sicherheitsinteressen. Einerseits aus geostrategischer Sicht, denn Taiwan schirmt den Zugang zum Pazifik durch das Chinesische Meer ab. Aber auch wirtschaftlich hat die Insel im Westpazifik eine grosse Bedeutung. Denn Taiwan ist der weltweit wichtigste Chip-Hersteller. Vor allem TSMC, der grösste unabhängige Auftragsfertiger für Halbleiter-Produkte, hat einen erheblichen Technologievorsprung gegenüber den Konkurrenten aus China und den USA.
Auch wegen der unsicheren Zukunft Taiwans arbeitet TSMC gerade mit Hochdruck daran, seine Technologie ins Ausland zu exportieren. Aktuell baut der Chip-Marktleader sechs Fabriken in den USA. Für den Westen sei ein solcher Technologie-Transfer natürlich wünschenswert, sagt Bachmann. Der Schweizer, der seit 17 Jahren in China lebt, gibt allerdings auch zu bedenken: «Man muss schauen, dass man Peking nicht zu sehr provoziert. Die Gefahr besteht durchaus, dass sie hier in China den Kopf verlieren und sich dann tatsächlich zu einer Invasion in Taiwan gezwungen sehen.»
Massive Störungen der globalen Lieferketten
Sollte es zu einer Eskalation kommen, wären nicht nur Schweizer Unternehmen in China und Taiwan betroffen. «Wenn keine Chips mehr exportiert werden können, dann spüren das auch die Unternehmen in der Schweiz», sagt Bachmann.
Auch Peter Grünenfelder (54), Direktor der liberalen Denkfabrik Avenir Suisse, warnt: «Eine Eskalation des Konflikts um Taiwan könnte zu massiven Störungen der globalen Lieferketten führen – und davon wären die Schweiz und ihre Unternehmen ebenfalls betroffen.» Die Schweiz sei wirtschaftlich mit China viel stärker verflochten als mit Russland. «Eine Eskalation der Spannungen zwischen den USA oder dem Westen und China würde die Schweizer Unternehmen stärker treffen als der Ukraine-Krieg», sagt Grünenfelder.
Wird China jetzt Russland mehr unterstützen?
Bachmann wie auch Grünenfelder rechnen nicht damit, dass der Besuch von Pelosi eine Invasion unmittelbar provoziert. China werde zwar auf den Besuch von Pelosi in Taiwan reagieren müssen, so Grünenfelder. «Aber die chinesische Führung ist stark auf Stabilität bedacht und scheut das Risiko. Die grösste Gefahr sind Missverständnisse und Unfälle, welche eine Eskalationsspirale in Gang bringen könnten.»
Er rechnet damit, dass es wirtschaftlich und diplomatisch zu neuen Verwerfungen kommen könnte. «Neben handelspolitischen Sanktionen könnte China als Gegenreaktion beispielsweise Russland im Ukraine-Krieg stärker unterstützen», sagt Grünenfelder. «Es sind auch chinesischen Wirtschaftssanktionen gegen Taiwan zu erwarten.»