Warum der US-Präsident Selenski so demütigt – und was jetzt zu tun ist
Trumps Kriegserklärung an Europa

Der Knall im Weissen Haus hat Donald Trump definitiv entlarvt. Er bändelt für Geschäfte lieber mit Kriegstreiber Putin an, als die angegriffene Ukraine zu unterstützen. Höchste Zeit für Europa, sich zu emanzipieren. Denn jetzt wird es brenzlig.
Publiziert: 01.03.2025 um 19:58 Uhr
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Aktualisiert: 02.03.2025 um 12:34 Uhr
Der neue US-Präsident Donald Trump wendet sich von der Ukraine und auch von Europa ab.
Foto: imago/UPI Photo
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Guido FelderAusland-Redaktor

Die Szenen, die die Kameras am Freitagabend aus dem Weissen Haus übertrugen, glichen einer Realityshow. US-Präsident Donald Trump (78) und sein Vize J. D. Vance (40) droschen auf einen verdatterten Wolodimir Selenski (47) ein, der sich mit verschränkten Armen zu rechtfertigen versuchte.

Der ukrainische Präsident war kurzfristig nach Washington gereist, um mit Trump einen milliardenschweren Rohstoffdeal zu unterschreiben. Das Geld hätte für den Wiederaufbau und die Entschädigung der US-Amerikaner für ihre wichtige Militärhilfe verwendet werden sollen. Die Parteien einigten sich nicht. Im Gegenteil: Es kam zu einem Eklat, zu einer Diskreditierung – und zu einer indirekten Kriegserklärung. Wollte sich Trump an Selenski rächen?

Doch der Reihe nach. Ausschlaggebend für den Knall war eine Frage von Selenski: «Ich spreche mit meinen Freunden in Polen und sie sind besorgt, dass Sie sich zu sehr auf die Seite von Putin schlagen. Was sagen Sie denen?» Trump warf als Antwort dem Gast vor, «Hass gegen Putin» zu empfinden und «mit einem dritten Weltkrieg zu spielen». Vance goss weiter Öl ins Feuer und bezichtigte Selenski der Respektlosigkeit.

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Beim Treffen drohte Donald Trump Wolodimir Selenski und forderte mehr Dankbarkeit.
Foto: keystone-sda.ch

Nach diesem Eklat nach rund 45 Minuten Diskussion verliess Selenski das Weisse Haus. US-Aussenminister Marco Rubio (53) forderte von Selenski eine Entschuldigung dafür, «dass er unsere Zeit für ein Treffen verschwendet hat, das so zu Ende ging». Aber eine Entschuldigung wird es nicht geben, ebenso wenig wie ein weiteres Treffen oder einen Deal.

Putin dürfte sich freuen

Im Unterschied zu Realityshows führte die Diskreditierung Selenskis im Oval Office nicht zu Liebesglück oder Liebeskummer wie etwa beim «Bachelor». Auch ging es nicht wie bei Trumps eigener ehemaliger TV-Show «The Apprentice» um einen Job oder einen beruflichen Rauswurf. Vielmehr handelte es sich dieses Mal um eine indirekte Kriegserklärung an die Ukraine und Europa.

Denn Trumps Schulterschluss mit dem Kreml wird den russischen Präsidenten Wladimir Putin (72) in seiner Aggression bestätigen. Es ist mit weiteren Offensiven zu rechnen. Ralph D. Thiele, Vorsitzender der Politisch-Militärischen Gesellschaft und Präsident von EuroDefense Deutschland, sagt zu Blick: «Die Ukraine wird Schaden nehmen, Selenski wird nicht im Amt bleiben können.»

Essay zum Eklat in Washington

Für Thiele ist klar, dass Europa jetzt militärisch aktiv werden muss, um Putins Hunger auf mehr zu stoppen. «Europa braucht schleunigst erste Verbände, die man jenseits vom Sprücheklopfen auch wirklich einsetzen kann.» Gefragt sei eine «leistungsfähige europäische Streitmacht», die man aus den Truppen und Waffensystemen der europäischen Staaten zusammenstellen müsse. Jetzt gehe es darum, Kräfte zu bündeln. Thiele: «Moderne Technologien wie Drohnen, künstliche Intelligenz, Weltraum- und Informationstechnologien bringen den Krieg und seine Möglichkeiten mit Sieben-Meilen-Stiefeln derzeit und in den kommenden Jahren in eine neue Leistungsklasse.»

War es einfach nur Rache?

Dass Trump sich im Gegensatz zu seinem Vorgänger Joe Biden (82) von der Ukraine abwendet, dürfte zwei Gründe haben. Philipp Adorf von der Universität Bonn erklärt: «Trump sieht in der Beziehung zur Ukraine offenbar weder wirtschaftliche noch strategische Vorteile. Für ihn stellt das Land vor allem eine finanzielle Belastung dar, da es kontinuierliche militärische und wirtschaftliche Unterstützung aus den USA benötigt.» Trump sehe in einem stabilen Verhältnis zu Russland den grösseren Profit und in Putin einen «vertrauenswürdigeren und bequemeren Verhandlungspartner» als in Selenski.

Adorf schliesst aber auch nicht aus, dass sich Trump an Selenski rächen wollte. «Trump hat Selenski nie verziehen, dass dieser sich 2019 geweigert hatte, eine Untersuchung gegen Hunter Biden und dessen geschäftliche Aktivitäten in der Ukraine einzuleiten.» Dieses Thema war bei Trumps erstem Amtsenthebungsverfahren ein zentrales Element. Zudem ärgerte sich Trump darüber, dass Selenski im US-Wahlkampf mit dem demokratischen Gouverneur Josh Shapiro (51) in Pennsylvania eine Waffenfabrik besucht hatte. Er wertete das als Parteinahme für die Demokraten.

Selenski verlässt das Weisse Haus frühzeitig
3:50
Streit mit Trump statt Vertrag:Selenski verlässt das Weisse Haus frühzeitig

Wohl das Ende der US-Hilfe

Adorf bezeichnet das Verhältnis zwischen den USA und der Ukraine als «möglicherweise irreparabel beschädigt». Mit den republikanischen Mehrheiten im Kongress besitze Trump den Rückhalt, um seine isolationistische Linie durchzusetzen. «Es ist daher nicht zu erwarten, dass der Kongress auf eigene Initiative der Ukraine weitere Gelder bereitstellt», meint Adorf.

Selenski wird sich die Wunden lecken und sich neu ausrichten müssen. Russland-Experte Ulrich Schmid von der Universität St. Gallen sagt: «Die Ukraine ist nun gut beraten, sich auf ihre europäischen Verbündeten zu konzentrieren. Und die Europäer müssen verstehen, dass auf die USA als Verbündete unter der Trump-Administration kein Verlass mehr ist.»

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Die meisten Europäer strecken bereits ihre Hand aus. Der wohl künftige deutsche Kanzler Friedrich Merz (69) will der Ukraine zur Seite stehen und sagt: «Wir dürfen in diesem schrecklichen Krieg niemals Angreifer und Opfer verwechseln.» Nur ein Europäer schert aus: Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban (61) lobte Trump, der sich «mutig für den Frieden eingesetzt» habe.

Verhandlungen gefragt

Schon am Sonntag treffen sich in London Staats- und Regierungschefs sowie die Nato- und EU-Spitze, um über das weitere Vorgehen zu beraten. Eingeladen hat der britische Premierminister Keir Starmer (62), der vor kurzem auch Trump besucht hatte und vermitteln will.

Die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni (48) hofft immer noch darauf, die Freundschaft zwischen Europa und den USA wieder kitten zu können. Sie fordert einen Gipfel zwischen den beiden westlichen Mächten und warnt: «Jede Spaltung des Westens macht uns alle schwächer und begünstigt die, die den Untergang unserer Zivilisation herbeiführen wollen.»

Ob ein solcher Gipfel mit Trump wirklich zielführend wäre? Die Spaltung ist schon weit fortgeschritten. Spätestens seit Freitagabend ist klar, dass Trump und seine Republikaner die Seite gewechselt haben. Dank laufender Kameras konnte dies die ganze Welt mitverfolgen.

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