Im Film sind es meistens Kunstschüsse über hunderte Meter, Mann gegen Mann, gut getarnt aus einem Versteck heraus – doch so finde das auf dem Schlachtfeld nie statt, geben drei Scharfschützen gegenüber der «Kyiv Post» an. Die Zeitung hat mit ihnen über ihre Einsätze gesprochen, unter der Voraussetzung, dass die Soldaten anonym bleiben.
Petrenko, Harbowski und Federtschuk – wie die Zeitung die Soldaten nennt – räumen darin mit allen Fantasien und Klischees auf, die man über den Alltag eines Scharfschützen haben könnte.
Das Duell Scharfschütze gegen Scharfschütze finde schon deshalb nie statt, weil niemand seine Position verraten wolle. «Von zehn Einsätzen feuerst du vielleicht einmal dein Gewehr ab», sagt Harbowski. «Einen gegnerischen Soldaten zu eliminieren ist nie das Ziel, mehr eine Gelegenheit, die man ergreift, wenn sie sich einem bietet.»
Hauptaufgabe: Beobachten!
In der Regel werden Scharfschützenteams von ein bis vier Mann den Kampfbrigaden zugewiesen. In 12- oder 24-Stunden-Schichten beziehen die Scharfschützen Position. Ihre Hauptarbeit: Observierung. Sichten sie einen feindlichen Soldaten, erstellen sie ein Raster und fordern die Artillerie an. So können sie an ihrer Position bleiben. Denn: Schiesst ein Scharfschütze – und verrät so seine Position – erwartet ihn nur Sekunden später ein Hagel an Mörsergranaten.
Der berühmte Ghillie-Anzug, ein Überwurf, in dem ein Soldat aussieht wie ein Busch, sei im Kampf kaum zu gebrauchen. Grund: Zu gross, zu schwer, zu auffällig für Drohnen, die über dem Schlachtfeld schweben, wenn man kilometerweit zu seinem Ziel laufe. Zudem kommt: Die falschen Grasbüschel würden sich bei schlechtem Wetter mit Wasser und Dreck vollsaugen.
«Fühlte sich wie ein Film-Casting an»
Der grösste Nachteil aber: Die Ghillie-Anzüge nützen nichts gegen Wärmebildkameras, mit denen russische Truppen nach Scharfschützen suchen. Petrenko gibt an, leichte US-Tarnpolster zu verwenden und die einfach mit einer Folie aus Antithermomaterial versehen werden können, um sich vor Nachtsichtgeräten zu verbergen.
Die drei interviewten Männer waren nicht seit Beginn des Krieges als Scharfschützen tätig. Die ukrainischen Streitkräfte begannen kurz nach Kriegsbeginn, gezielt eine Sniper-Einheit aufzubauen. Und die drei wurden unter anderen in einem langwierigen Prozess rekrutiert. Sie mussten Lügendetektor-Tests absolvieren, Fitness-Tests, Schulungen in Tarnung, Nahkampf, Fahrzeug-Identifizierung – «es fühlte sich an, als würden wir für einen Film gecastet werden», sagt Petrenko zur «Kyiv Post».
Seit Sommer 2022 werden die Scharfschützen zu immer unterschiedlichen Einsätzen berufen, meistens aber, um Stellungen zu verteidigen. Dabei verwenden viele das kanadische Gewehr Cadex Defence CDX-33 TAC. Scharfschütze führen oft auch einen «ganzen Golfbag» voller Gewehre, Zielfernrohre und andere Utensilien mit sich.
Die Scharfschützen leben gefährlich: Neun von zehn einer Sniper-Einheit werden laut ihren Angaben im Kampf verletzt, durch Schrapnelle oder andere Splitter. Mehrere werden getötet oder so schwer verletzt, dass sie nicht mehr weiterkämpfen konnten. (neo)