«Morgen, morgen, nur nicht heute…» Das scheint das unausgesprochene Motto der demokratischen Präsidentschaftskandidatin Kamala Harris (59) in Bezug auf Presseauftritte zu sein. Seit sie vor über einem Monat in die Fussstapfen von US-Präsident Joe Biden (81) trat, stand sie den Medien nur einmal zur Verfügung – und das für nur schlappe 70 Sekunden. In dieser kurzen Zeit versprach sie aber: Bis Ende August wolle sie mindestens ein grosses Interview geführt haben.
Das Monatsende naht – und Harris hielt ihr Versprechen bis dato nicht ein. Immerhin kündigte sie in der Nacht auf Mittwoch an, am Donnerstag gemeinsam mit ihrem Vize-Kandidaten Tim Walz (60) dem US-Sender CNN ein Interview zu geben. Im Gespräch hat Harris die Chance, sich zu verschiedenen innen- und aussenpolitischen Themen zu positionieren und sich von US-Präsident Joe Biden (81) zu differenzieren, schreibt CNN. Das Interview findet aber nur zwei Tage vor ihrer selbstgesetzten Deadline statt. Wieso genau weigerte sich Harris bisher, sich den Medien zu stellen?
Die Demokraten haben Angst vor den Medien – warum?
Harris' 37-tägiges Schweigen sorgte für Naserümpfen bei Journalisten, Parteikollegen, Unterstützern – und für Angriffe aus dem republikanischen Lager. Der republikanische Präsidentschaftskandidat Donald Trump (78) nannte Harris beispielsweise «nicht intelligent genug für Pressekonferenzen». Dass das nicht stimmt, ist wohl klar.
Denn an Parteitagen, Wahlkampfveranstaltungen und in Tiktok-Videos tritt Harris immerhin souverän auf. Klar: Hier kann sie sich penibel genau vorbereiten, niemand kann sie auf dem falschen Fuss erwischen oder mit einer unerwarteten Frage aus der Bahn werfen. Das ist Harris’ Schwachstelle: Spontan ist sie nicht unbedingt, unangenehme Fragen führten in vergangenen Interviews zu ebenso unangenehmen Patzern.
Und diese Patzer könnten im schlimmsten Fall zu schlechteren Umfragewerten führen. In einem so knappen Rennen wie diesem könnte ein kleiner Einbruch fatal sein. Schliesslich führt Harris vielerorts mit nur wenigen Prozentpunkten vor Trump.
Hinzu kommt: Sobald sich ein Präsidentschaftskandidat (oder eine Kandidatin) auf Wahlkampfinhalte festlegt, werden diese zur Munition der Gegner. Harris will Preiskontrollen einführen? Trump schimpft sie eine Kommunistin. Das schadet dem Image – also bloss Finger weg von zu konkreten Aussagen.
Harris' Methode ist undemokratisch
Halten wir also fest: PR-technisch fährt Harris die absolut richtige Strategie. Aber – und es ist ein grosses Aber – diese Strategie ist undemokratisch. Da Harris’ Wahlkampf so ungewöhnlich spät begann, ist sie für viele potenzielle Wähler ein grosses Fragezeichen. Man weiss kaum etwas über ihre Standpunkte oder ihren Plan für ihre potenzielle Präsidentschaft. Harris, die sich eigentlich um einen volksnahen Wahlkampf bemüht, wirkt kühl und fremd. Ein Interview, in dem sie sich vielleicht auch unangenehmen Fragen aus der Bevölkerung stellt, könnte sie nahbarer machen.
Doch die Demokraten halten an ihrer unrühmlichen Tradition fest. US-Präsident Biden hielt während seiner Präsidentschaft (Stand Juli 2024) lediglich 164 Interviews und Pressekonferenzen – wohl auf Anraten seines Teams. Das ist weitaus weniger als die letzten sechs US-Präsidenten. Eigentlich wollten die Demokraten mit Harris' Nominierung eine neue Ära der Politik einläuten – doch in manchen Dingen stecken sie noch immer in der Vergangenheit fest.