Donald Trump (78) stellte ihr eine Falle. Vizepräsidentin Kamala Harris (59) habe erst spät festgestellt, eine schwarze Frau zu sein, sagte er auf dem Kongress schwarzer Journalisten Amerikas. Zuvor habe sie sich als Inderin gefühlt.
Der Angriff auf die ethnische Identität war empörend, anmassend, übergriffig. Typisch Trump. Seit nunmehr zehn Jahren provoziert der Republikaner aus New York mit verbalen Attacken und hofft, seine Gegner lassen sich dadurch provozieren. Doch Harris reagiert nicht so, wie Trump es sich erhofft hat.
Sie bleibt nämlich cool, lässt die Aussage abperlen und verzichtet auf das, worauf Trump gehofft hatte: Empörung. Harris liess Trump ins Leere laufen. Und treibt den Republikaner damit zunehmend in die Enge.
Ist Harris wirklich eine Chaotin?
Seit nunmehr zwei Wochen ist sie die Präsidentschaftskandidatin der Demokraten und hat einen bisher makellosen Wahlkampf hingelegt. Harris ist die Frau, die keine Fehler macht.
Dabei eilte ihr der Ruf voraus, chaotisch Wahlkampf zu betreiben, keine greifbaren Botschaften formulieren zu können, zu taumeln, wenn sie angegriffen wird.
Von all dem blitzte bisher nichts auf. Stattdessen wirkt sie selbstsicher, überlegt und ruhig. Alles scheint aus einem Guss zu kommen.
Das gelingt Harris mit dem gleichen Beraterteam, das bis vor kurzem noch den Wahlkampf von US-Präsident Joe Biden (81) betreute. Ein Wahlkampf, der die Demokraten in eine Lethargie versetzte. Zuletzt zweifelten selbst die treuesten Parteimitglieder an einem Wahlsieg.
Die Lethargie weicht einem Energieschub
Harris aber küsste die Partei wach. Die Lethargie ist einem Energieschub gewichen. Der ist nötig, um einen amerikanischen Wahlkampf durchzustehen.
Die Energie zeigt sich in den Hunderten von Millionen Dollar, die Harris in kurzer Zeit mittels Kleinspenden sammeln konnte. In Zoom-Meetings, an denen bis zu 100'000 Menschen teilnahmen. In der Spannung, die sie um die Frage ihres Vizekandidaten entfachen konnte. Und im Zuspruch aller Parteigrössen – der Clintons, der Obamas und von Jimmy Carter (99), der sagte, er wolle noch lange genug leben, um Harris zu wählen.
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Harris ist in den letzten 14 Tagen an mehr Wahlkampfveranstaltungen aufgetreten als Biden im ganzen Jahr. Sie hält gut formulierte Reden, die sie gekonnt vom Teleprompter abliest. Bewusst verzichtet sie auf Fernsehinterviews, da sie bei spontaner Rede zuweilen schwächelt und Videoclips hinterlässt, die Angriffsfläche bieten.
Fehlende Angriffsfläche
Diese Angriffsfläche fehlt den Republikanern. Die bis vor kurzem siegesgewisse Partei wirkt verunsichert. Dabei hat Trump sein Team mit Beratern bestückt, die allesamt als hervorragend gelten und ihr Handwerk beherrschen. Sie hatten genug Zeit, sich auf Harris einzustellen. Bidens Rückzug hatte sich seit Wochen abgezeichnet. Ebenso, dass Harris den alternden Präsidenten als Kandidatin beerben würde.
Trump sei überrascht und frustriert zugleich über den Zuspruch für Harris und das viele Geld, das sie sammelt, berichten ihm nahestehende Personen dem «Wall Street Journal». Wie schon früher scheint Trump wegen etwas Gegenwinds die Nerven zu verlieren. Statt wie geplant Harris als linke Ideologin und«Co-Pilotin Bidens» zu brandmarken, greift er ihre Herkunft an.
Das wirkt bös- und eigenartig. Wofür die Demokraten ein passendes Wort gefunden haben, das die Runde macht und haften bleibt: «weird». Komisch und seltsam sei das republikanische Duo Trump und Vizekandidat J.D. Vance (40).
Ein Wahlkampf um Persönlichkeiten statt Inhalte
Harris und ihre Partei betreiben einen Wahlkampf, der nicht auf Inhalte setzt, sondern auf die Persönlichkeit des Rivalen. Hier die Gelassene, dort der Ungehobelte.
Sie will nicht über hohe Preise im Supermarkt und an der Zapfsäule reden, die Zustände an der Grenze oder die jüngste Panik an den Börsen. Stattdessen soll ihre Besonnenheit bei den wenigen noch unentschlossenen Wählerinnen und Wählern besser ankommen als das wilde Getue Trumps.
Eine Strategie, die momentan laut Umfragen aufzugehen scheint. Zwar liegt Trump in den meisten Schlüsselstaaten nach wie vor vorne, aber sein Vorsprung schmilzt überall – weil Harris keine Fehler gemacht hat.
Klar, das dürfte sich bis zum Wahltag am 5. November ändern. Aber diese Wahl ist wieder offen.