Der tragische Wandel der Stadt Bachmut
1:46
Vor und nach Russen-Angriff:Der tragische Wandel der Stadt Bachmut

Um die guten Soldaten für die Offensive zu schonen
Ukraine schickte unerfahrene Wehrpflichtige in den Fleischwolf nach Bachmut

Die Ukraine hat in Bachmut unausgebildete Kämpfer verheizt. Damit sollten Ressourcen für die Gegenoffensive gespart werden. Bei den Angehörigen der betroffenen Soldaten löst dies grosse Wut aus.
Publiziert: 25.05.2023 um 19:15 Uhr
|
Aktualisiert: 25.05.2023 um 19:26 Uhr
1/6
Ukrainische Soldaten fahren in der Nähe von Bachmut in Richtung Front.
Foto: keystone-sda.ch

Für viele war es ein Todeskommando. Das «Wall Street Journal» erzählt die Geschichte einer Gruppe von 16 ukrainischen Wehrpflichtigen, die im Februar in einem blutigen Gefecht in der ukrainischen Stadt Bachmut kämpften. Die Männer, von denen viele erst wenige Tage zuvor eingezogen worden waren und keinerlei Ausbildung erhalten hatten, wurden beauftragt, eine Wohnanlage gegen russische Truppen zu verteidigen.

Der Kampfeinsatz nahm für die meisten der Männer ein böses Ende. Innerhalb von 36 Stunden wurden elf der 16 Männer entweder getötet oder gefangen genommen. Die Männer stammten grösstenteils aus armen Dörfern und hatten vor ihrem Einsatz keinerlei Kampferfahrung. Sie erhielten veraltete sowjetische Gewehre und Uniformen. Die ukrainische Regierung setzte dem Bericht zufolge die frisch mobilisierten Soldaten in Bachmut ein, um die vom Westen ausgebildeten und ausgerüsteten Brigaden für die geplante Frühlingsoffensive aufzusparen.

«Es war die Hölle auf Erden»

Zu den 16 Männern gehörte auch Oleksi Malkowski. Der arbeitslose Vater dreier Kinder feuerte an der Front in Bachmut zum ersten Mal in seinem Leben eine Panzerfaust ab. Er verfehlte das Ziel. Die Russen schossen zurück und trafen die Wand neben ihm. Malkowski ergriff die Flucht. Als er nach Sonnenuntergang ins Gebäude zurückkehrte, fand er die Leichen von zwei seiner Kameraden vor.

Wladislaw Judin, ein Ex-Häftling aus Luhansk, sagte seinem Vorgesetzten, er habe noch nie eine Waffe in der Hand gehalten, geschweige denn geschossen. «Bachmut wird es dir beibringen», sei die Antwort auf den Einwand gewesen. Judin musste wenig später mitansehen, wie ein Dorfbewohner und der Kommandant vor seinen Augen getötet wurden. «Es war die Hölle auf Erden», erinnert er sich.

Wohl mehrere Tausend Tote auf beiden Seiten

Nach monatelangem Kampf erlangten die russischen Streitkräfte unlängst die Kontrolle über Bachmut. Zwar hat keine der beiden Seiten die Zahl ihrer Opfer bekannt gegeben, doch nach westlichen Schätzungen sind an der Front in der immer wieder als «Fleischwolf» bezeichneten Stadt mehrere Tausend Soldaten auf beiden Seiten ums Leben gekommen. Viele weitere wurden verletzt oder gerieten in Gefangenschaft.

Manche Angehörige suchen bis heute vergeblich nach ihren Ehemännern und Söhnen, die nach Bachmut an die Front geschickt wurden. Die Tatsache, dass die Männer ohne ausreichende Ausbildung kämpfen mussten, löst grosse Wut bei ihnen aus.

Dem Bericht zufolge erschienen Anfang März zwei ukrainische Militärbeamte beim Haus des 51-jährigen Schichtarbeiters Wasili Selenski. Sie mussten seiner Familie die Nachricht überbringen, dass der Mann vermisst wird. Ist er tot? In Gefangenschaft? Ehefrau Olena fragte die beiden: «Wie kann es sein, dass ihr einen Mann ohne Ausbildung mitnehmt und eine Woche später ist er verschwunden?» Es sei Krieg, so die lapidare Antwort der Militärbeamten. Keiner werde die Mobilisierten jetzt ausbilden. (noo)

Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?