Die Kämpfe in der westrussischen Stadt Belgorod sind laut Angaben aus Moskau beendet. Hinter den Attacken steckten die «Legion Freies Russland» und das «Russische Freiwilligenkorps», bestehend aus russischen Neonazis. Letzteres hatte bereits im März die Dörfer in Brjansk nahe der Grenze angegriffen. Jetzt geschah es erneut – und in grösserem Ausmass. Das bringt den russischen Präsidenten Wladimir Putin (70) in Erklärungsnot.
Die russische Armee hat nach eigenen Angaben die am Montag in die Grenzregion eingedrungenen Kämpfer zurückgedrängt und «eliminiert». Die nationalistischen Gruppierungen seien bei einem «Anti-Terror-Einsatz» mit Luftangriffen und Artilleriefeuer «aufgehalten und zerstört» worden, erklärt das russische Verteidigungsministerium. Die verbliebenen «Nationalisten» seien «auf das Territorium der Ukraine zurückgedrängt» worden, wo die «zerstörerischen Schläge» der russischen Armee bis zur «vollständigen Vernichtung» der Kämpfer fortgesetzt worden seien.
70 Neonazis sollen getötet worden sein
Den Informationen zufolge tötete die russische Armee mehr als 70 «ukrainische Terroristen». Wie üblich macht das Verteidigungsministerium keine Angaben zu Verlusten oder Schäden auf russischer Seite. Die Angaben können derzeit nicht unabhängig überprüft werden. Der Kreml beschuldigt Kiew, doch prorussische Militärblogger und Propagandisten fragen sich: Wie konnte es so weit kommen, dass Russen in Russland eigenes Land angreifen?
Klar ist: Die russischen Neonazis überquerten die Grenze aus der Ukraine. Unklar hingegen bleibt, wie die Kämpfer die Grenze überschreiten konnten. Das gelang 42 Kämpfern bereits an anderer Stelle im März. Wie viele Männer diesmal beteiligt sind, ist bisher unklar.
Grenze ist unübersichtlich
Ruslan Puchow (49), der zum Expertenrat der russischen Regierung gehört, sagte im März über den Angriff auf Brjasnk: «Es ist schwierig, die Grenze dort zu schliessen.» An der Grenze gebe es sehr viele Wälder, die die Lage unübersichtlich machen. Belgorod liegt über 400 Kilometer weiter südlich als Brjansk. Hat die russische Regierung aus den Angriffen nichts gelernt?
Militärblogger Alexander Kots (44) lässt seiner Wut über die aktuelle Situation auf Telegram freien Lauf und verlangt Antworten von der russischen Regierung. «Was ist mit der technischen Ausrüstung an der Grenze, den Überwachungssystemen, den Ortungs- und Bewegungserkennungssystemen? Was ist mit Minen in potenziell gefährlichen Gebieten? Wie sieht es mit Panzerabwehrwaffen aus? Warum konnten die gepanzerten Mannschaftswagen des Feindes ungehindert tief in unser Gebiet eindringen?» Er kann sich nicht erklären, wie es zu dem Angriff kommen konnte.
Prigoschin habe schon oft gewarnt
Auch Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin (61) schiesst gegen die russische Regierung. «Es gibt einen Mangel an Staatlichkeit und eine Verschwendung von öffentlichen Geldern», sagt er. «Anstatt sich um die Sicherheit des Staates zu kümmern, zapfen die einen Geld ab, die anderen albern herum.» Der Oligarch kritisiert immer wieder den Umgang mit Geld im Kreml.
Prigoschin behauptete zuletzt, dass seine Männer keine Ausrüstung erhalten, obwohl die Mittel da wären. Prigoschin kritisiert: «Es gibt keine Menschen, die bereit sind, ihr Land zu verteidigen. Ich habe das in den Oblasten Belgorod und Kursk schon oft gesagt.»
Moskau beschuldigt Kiew und macht keinen Unterschied zwischen proukrainischen Kämpfern und Armee. Kiew dementiert – zumindest teilweise. Man sei nicht direkt an dem Angriff beteiligt, heisst es aus der Regierung. «Russland macht eine schwierige Zeit durch», sagte Putin am Dienstag. «Aber dies ist ein besonderer Moment, der die Solidarisierung und das Nationalgefühl stärkt.» Doch in der Bevölkerung bleibt die Angst.