Es brodelt im russischen Grenzgebiet. Am Montag überschritten russische Partisanen, also bewaffnete Rebellentruppen, die Grenze bei Belgorod und nahmen nach eigenen Angaben mehrere Ortschaften ein. Somit wird ein Teil Russlands von den eigenen Landsleuten besetzt.
In einer Erklärung auf Telegram riefen die Besatzer die Bevölkerung dazu auf, keinen Widerstand zu leisten und keine Angst zu haben: «Heute ist es an der Zeit, dass jeder die Verantwortung für seine Zukunft übernimmt. Es ist an der Zeit, der Diktatur des Kremls ein Ende zu setzen.»
Hinter den Angriffen und der Botschaft stecken zwei rechtsextremistische russische Verbände: die «Legion Freies Russland» und das «Russische Freiwilligenkorps». Besonders der zweite Verband ist in Russland berühmt-berüchtigt.
Seit 2010 im Exil
Bereits im März verübte das Freiwilligenkorps einen Angriff auf die russische Grenzstadt Brjansk – im Namen der Ukraine. Doch warum kämpfen russische Neonazis überhaupt gegen den Kreml und Präsident Wladimir Putin (70)?
Kacper Rekawek ist tätig an der Universität Oslo und forscht seit Jahren zu Rechtsextremismus und ausländischen Kämpfern in der Ukraine. Im März erklärte er gegenüber Blick, weshalb sie dies tun: «Russland ist in ihren Augen ein Land, das Migration fördert, in einer Diebesherrschaft regiert wird und, in den Augen dieser Extremisten, asiatischstämmige Soldaten in die Ukraine schickt, um gegen weisse Europäer zu kämpfen», führt Rekawek den Gedanken des Korps aus. «So wie Russland aktuell geführt wird, ist es eine Beleidigung für diese Leute.»
Und weiter: «In den 2010er-Jahren begann der Kreml damit, die rechtsextremistische Gewalt im eigenen Land unter Kontrolle zu bekommen.» Das Ergebnis: Die Nationalisten flüchteten nach Belarus oder in die Ukraine und gründeten dort anti-russische Gruppierungen, wie das Russische Freiwilligenkorps.
Neonazi mit Asow-Verbindungen greift Putin an
Bei dieser Gruppe ganz vorne mit dabei: einer der bekanntesten Neonazis Deutschlands, Denis Nikitin (38, geb. Kapustin), der als Kind von Russland nach Deutschland zog und als Flüchtling in Köln lebte. Er selbst gründete im August 2022 das Freiwilligenkorps – um nach eigenen Aussagen gegen Putin zu kämpfen.
Nikitin ist auch in der Schweiz kein Unbekannter. Spätestens seit 2017 unterhält der Neonazi Verbindungen zum ehemaligen Präsidenten der rechtsextremistischen Partei National Orientierter Schweizer (Pnos), Florian Gerber. Dieser soll für Nikitin die Geschäfte seiner Kleiderfirma White Rex in der Schweiz abgehandelt haben, wie der «Spiegel» berichtete.
Mehr zum russischen Freiwilligenkorps
Wie die Investigativplattform Bellingcat berichtet, ist auch Alexej Lewkin, ein weiterer Neonazi, Teil des Freiwilligenkorps. In einem aktuellen Video behauptet er, dass Putin «quasi erledigt» sei. Bereits 2019 hielt der Journalist Michael Colborne für das «Zentrum für die Analyse der radikalen Rechten» (CARR) fest, dass Lewkin auch Verbindungen zum nationalistischen Asow-Regiment in der Ukraine hat.
In einem Bellingcat-Artikel vom Januar 2020 beleuchtet Journalist Colborne diese Verbindung noch weiter: 2014 kam Levkin in die Ukraine, wo er sich dem Asow-Bataillon anschloss. Seine Ankunft in der Ukraine befeuerte die rechtsextremistische Community in der Ukraine, bis heute findet jährlich das von ihm gegründete Blackmetal-Festival Asgardsrei in Kiew statt. Bis Anfang 2020 kämpfte er laut Bellingcat noch immer für das Asow-Regiment. Wann er das Bataillon verliess und wann genau er sich dem Russischen Freiwilligenkorps anschloss, ist unklar.
Gegenüber Blick erklärte Colborne, wie problematisch diese Verbindung für die Ukraine ist: «Solche Aktionen könnten dazu führen, dass die Unterstützung für die Ukraine in der westlichen Bevölkerung schwindet. Die Leute mögen Putin nicht, aber sie mögen auch keine Nazis.» Zudem könnte Russland diese Verbindungen dafür verwenden, das Narrativ der «Entnazifizierung der Ukraine» weiter voranzutreiben und so ihre Invasion zu rechtfertigen.
Wie reagiert die Ukraine?
Und tatsächlich: Russland macht die Ukraine verantwortlich für die Besetzung von Belgorod. Kiew dementiert – zumindest teilweise. Man sei nicht direkt an dem Angriff beteiligt, heisst es aus der Regierung.
Schon nach dem ersten Angriff im März beteuerte Freiwilligenkorps-Anführer Nikitin allerdings, dass der damalige Angriff mit dem Segen des ukrainischen Militärs stattgefunden hat. Der Verdacht, dass es auch dieses Mal Verbindungen zur ukrainischen Militärführung geben könnte, liegt nahe.