Die Bilder aus der ukrainischen Stadt Butscha haben weltweit für Entsetzen gesorgt. Die Leichen toter Zivilisten auf den Strassen und in den Häusern schockieren. Nach dem Abzug russischer Truppen entdeckte die ukrainische Armee die getöteten Menschen.
Der ukrainische Verteidigungsminister Olexij Resnikow (55) hat mit Vergeltung gedroht. «So etwas Böses darf nicht ungestraft bleiben», sagte er am Montag in Kiew. «Unsere Aufklärung identifiziert systematisch alle Eindringlinge und Mörder. Alle! Jeder wird zu seiner Zeit bekommen, was er verdient hat.»
Doch wer genau hinter dem Massaker steckt, ist noch unklar. Offensichtlich waren unterschiedliche Einheiten in Butscha, die sich zeitweise auch abgewechselt haben.
Truppen aus Fernost in Butscha stationiert
Auf Twitter veröffentlichte die ukrainische Aktivistengruppe InformNapalm das Bild und den Namen eines mutmasslichen Verantwortlichen: Oberstleutnant Asatbek O.*
Er und seine Einheit 51460, die 64. motorisierte Artilleriebrigade, könnten hinter den Butscha-Bluttaten stecken. Demnach sei die Truppe aus der Chabarowsk-Region an der Grenze zu China bereits seit Beginn des Krieges nahe Kiew stationiert worden. InformNapalm hat auch die Mail- und die Wohnadresse sowie die Telefonnummer von O. veröffentlicht.
Zudem hat das ukrainische Verteidigungsministerium am Montag eine Liste publiziert, die sämtliche Namen, Dienstgrade und Passdaten der Mitglieder der 64. Artilleriebrigade aufzeigen soll. Der Name Asatbek O. ist allerdings nicht darunter.
Der ukrainische Präsidentenberater Olexij Arestowitsch (46) hatte auf Twitter ausserdem über weitere Einheiten und Unterabteilungen der Streitkräfte geschrieben. Demnach sollen auch Panzertruppen der 36. Armeegarde aus dem russischen Distrikt Fernost sowie ein Teil des 331. Regiments der 98. Fallschirmjägerdivisionin Butscha im Einsatz gewesen sein.
Manche Soldaten verteilten Nahrungsmittel
Hört man sich die Berichte vor Ort an, so wird klar, dass sich offenbar nicht alle russischen Einheiten, die in den letzten Wochen in Butscha waren, an den Gräueltaten beteiligt haben. Wenn man sich anschaut, wo die Leichen der Menschen mit teilweise gefesselten Händen lagen, wird klar, dass die Taten nur in einigen Strassenzügen der 27'000-Einwohner-Stadt begangen wurden.
Nach Angaben einiger Augenzeugen seien die Soldaten im städtischen Zentrum moderat vorgegangen. «Bei den Durchsuchungen klopften sie höflich an, verteilten sogar Nahrungsmittel an die von uns, die zurückgeblieben sind», sagte ein Mann zur «Bild».
Irina Dawidowitsch erzählt im Interview mit der «New York Times» von einem 19-jährigen Soldaten, der ihr gesagt habe, er träume davon, verwundet zu werden und somit nach Hause können. Die pensionierte Lehrerin Galina Lewitskaja (60) berichtete, dass russische Soldaten ihr geholfen hätten, ihre Tüten zu tragen.
Kadyrow-Kämpfer besonders brutal
Andere Bewohner, besonders in den Aussenbezirken, haben andere Erfahrungen gemacht. «Mein Mann ging aus dem Haus, um das Feuer, das ihre Schüsse verursacht hatten, zu löschen. Während er dorthin ging, packten sie ihn. Sie zogen ihm den Pullover aus, legten ihn auf die Knie und schossen ihm in den Kopf», sagte Irina Abramowa der «Bild».
Wladislaw Koslowski, einer der Überlebenden in Butscha, sagte, dass unter anderem auch Tschetschenen-Kämpfer des Machthabers Ramsan Kadyrow (45) vor Ort gewesen seien. «Die Kadyrowiten haben sich alle brutal und barbarisch verhalten. Bei den Russen gab es unterschiedliche Leute. Unter ihnen befanden sich viele junge Menschen. Einige klopften an Häuser und baten um eine Unterkunft, während andere die Leute einfach verprügelten und die Hausbesitzer auf die Strasse warfen», sagte Koslowski gegenüber dem Portal «Vot Tak».
Er erzählte auch, dass Soldaten burjatischer Abstammung, eine mongolische Ethnie in Sibirien, ebenfalls in Butscha gewesen sein sollen. Acht Menschen seien vor seinen Augen getötet worden. «Sie schossen entweder in den Hinterkopf oder ins Herz.»
Angebliche Entnazifizierung als Vorwand für Massaker
Wie Koslowski erzählt, sollen die Soldaten nach «Nazis» gesucht haben. Sie hätten unter anderem geschaut, wer «verdächtige» Tattoos habe und hätten demnach diese Leute verschleppt und später getötet. Aber auch zufällige Personen kamen ums Leben.
Putin hatte den Angriff auf die Ukraine am 24. Februar unter anderem mit einer «Entnazifizierung» des Landes begründet – ein aus Sicht von Experten unhaltbarer Vorwand.
Von einer «absurden Erzählung» Putins spricht die israelische Extremismus-Expertin Rita Katz von der US-Nichtregierungsorganisation Site Intelligence Group. Zwar sei das Asow-Bataillon eine rechtsextreme nationalistische Bewegung, der sich auch Rechtsradikale aus anderen Ländern anschlössen. Es sei aber falsch, wenn Putin behaupte, die Regierung des von dem jüdischstämmigen Präsidenten Wolodimir Selenski (44) geführten Landes sei von Neo-Nazis durchsetzt.
Ermittlungen und Untersuchungen sollen mehr Licht ins Dunkle rund um das Massaker von Butscha bringen. Die Menschenrechtskommissarin der Vereinten Nationen (Uno), Michelle Bachelet (70), fordert eine Exhumierung der Leichen. Die Identifikation soll helfen, die genauen Todesursachen festzustellen. Zugleich forderte sie, alles zu tun, um Beweise zu sichern. Es müssten alle Anstrengungen unternommen werden für «unabhängige und wirksame Untersuchungen der Geschehnisse in Butscha».
* Name bekannt