Der Rettungsversuch hat nicht funktioniert. Auch bei seinem zweiten Anlauf vermied Aussenminister Ignazio Cassis (60) klare Worte. Schon am Sonntag hatte sein Aussendepartement (EDA) die russischen Kriegsverbrechen im ukrainischen Butscha nur mit grösster Zurückhaltung kommentiert.
Statt die Gräueltaten scharf zu verurteilen, wie das die deutsche Aussenministerin Annalena Baerbock (41) tat, rief das EDA «alle Seiten» auf, «das humanitäre Völkerrecht strikt einzuhalten und die Zivilbevölkerung zu schützen».
Das stiess auf Unverständnis. Mitte-Chef Gerhard Pfister (59) war empört. Seine Partei erwarte, «dass der Gesamtbundesrat klarere und deutlichere Worte findet zu den Kriegsverbrechen in der Ukraine als das EDA».
Krisenkommunikation in der Krise
Am Montag trat der Aussenminister vor die Medien – fünf Minuten. Er vermied es erneut, deutlich zu werden: «In der Diplomatie gilt es, kühlen Kopf zu wahren», sagte er. Zuerst brauche es eine unabhängige Untersuchung, wer verantwortlich sei für die Gräueltaten.
Wieder vermied Cassis auch den Ausdruck «Kriegsverbrechen». Nach dem Abzug russischer Truppen hatte die Ukraine eigener Angaben zufolge in der Region um Kiew die Leichen von insgesamt 410 Zivilpersonen geborgen.
Es ist nicht Cassis' erste Kommunikationspanne. Bereits bei der Vorstellung der Schweizer Sanktionspolitik zu Kriegsbeginn hatte er für Empörung gesorgt. Auch damals waren zwei Anläufe nötig, bis sich die Regierung dazu durchringen konnte, die EU-Sanktionen mitzutragen. Diesmal verpasste der Bundespräsident gar noch die zweiten Chance.
«Hier braucht es Klartext»
Auch bei ehemaligen Diplomaten und Chefbeamten stösst Cassis mit dieser «Wischiwaschi-Politik» auf Unverständnis. «Wenn Zivilpersonen erschossen werden, ist das ein klarer Verstoss gegen das humanitäre Völkerrecht. Dann soll man auch Klartext reden und das in aller Deutlichkeit benennen», sagt der ehemalige Schweizer Chefunterhändler und frühere Präsident des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK), Jakob Kellenberger (77).
Ex-Bundesratssprecher Oswald Sigg (78) hat gar das Gefühl, die «spürbare Zurückhaltung» von EDA und Bundesrat hänge mit den wirtschaftlichen Verbandelungen mit Russland zusammen. Vermutlich wolle das EDA das Land darum nicht so scharf kritisieren.
«Dass eine solche Zögerlichkeit gerade bei einer solchen Dramatik kritisiert wird, verstehe ich», sagt Sigg. «Hier hätte ich eine deutlichere Stellungnahme erwartet. Hier braucht es Klartext.» In der Krise kommt Cassis nicht gut weg.