Bundespräsident und Aussenminister Ignazio Cassis (60) hütet sich vor klaren Worten. Als Reaktion auf die russischen Kriegsverbrechen in der nordukrainischen Stadt Butscha hat Cassis' Aussendepartement (EDA) am Sonntag auf Twitter eine Stellungnahme veröffentlicht. Statt die Gräueltaten Russlands scharf zu verurteilen, wie das beispielsweise die deutsche Aussenministerin Annalena Baerbock (41) tat, ruft das EDA darin «alle Seiten» auf, «das humanitäre Völkerrecht strikt einzuhalten und die Zivilbevölkerung zu schützen».
Die zurückhaltende Stellungnahme stösst in Bundesbern auf Unverständnis und irritiert Parlamentarierinnen und Parlamentarier – nicht nur bei den Linken. Mitte-Präsident Gerhard Pfister (59) ist empört. Die Partei erwarte, «dass der Gesamtbundesrat klarere und deutlichere Worte findet zu den Kriegsverbrechen in der Ukraine als das EDA gestern», schreibt er auf Twitter.
Cassis müsse hinstehen
Auch GLP-Chef Jürg Grossen (52) findet es unverständlich, mit welcher Zurückhaltung Cassis reagiert. «Selbstverständlich müssen die Geschehnisse genau untersucht werden. Wenn man solche Gräueltaten sieht, muss der zuständige Bundesrat aber persönlich hinstehen und das Geschehene in aller Schärfe verurteilen.» SP-Nationalrat Fabian Molina (31) bezeichnet die EDA-Stellungnahme als «wahnsinnig weichgespült» und «beschämend».
Nicht einmal die eigene Partei ist offensichtlich auf der Linie des Bundespräsidenten. FDP-Präsident Thierry Burkart (46) spricht im Gegensatz zu seinem Bundesrat auf Twitter Klartext: Die Aufnahmen aus Butscha seien «ein weiterer Beleg für schwere russische Kriegsverbrechen an der Zivilbevölkerung in der Ukraine».
Auf seiner Seite hat Cassis einzig die SVP. Auf die Fragen von Blick, wie die SVP zur Stellungnahme des EDA stehe und ob man weiterhin an der Position festhalte, dass Sanktionen das falsche Mittel seien, teilt SVP-Präsident Marco Chiesa (47) lediglich mit: «Die SVP verurteilt sämtliche Kriegsverbrechen. Diese sollen durch den Internationalen Gerichtshof in Den Haag geprüft und verurteilt werden.»
Verschärfte Sanktionen gefordert
Freisinnigen-Chef Burkart hält es derweil für notwendig, die Sanktionen gegenüber Russland massiv zu verschärfen. Dieser Ansicht sind auch Vertreterinnen und Vertreter von SP, Grünen, GLP und Mitte. Natürlich hätten Sanktionen ihren Preis und könnten auch der Schweiz wehtun, sagt Mitte-Nationalrätin Marianne Binder-Keller (63). «Aber wir müssen jetzt alles tun, um Putin und diesen fürchterlichen Angriffskrieg zu stoppen. Sonst ist der Preis ein ungleich höherer.»
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Der Druck steigt, den Hebel nun auch beim Handel mit Gas und Öl anzusetzen, mit dem Russlands Präsident Wladimir Putin (69) die Kriegskasse füllt. Grüne und SP fordern das schon lange. Es brauche einen Boykott von russischem Öl, Gas und Uran, fordert die Grünen. Bisher schreckte nicht nur die Schweiz, sondern auch die EU aber davor zurück, in diesem Bereich Sanktionen zu ergreifen. «Die Realität ist bitter: Wir sind sehr abhängig von russischem Gas», sagt GLP-Präsident Grossen. Und aus dieser Abhängigkeit komme man so rasch nicht raus.
Schweiz soll keinen Alleingang wagen
«Wir dürfen darum nun nicht kopflos handeln», warnt Grossen. «Ein Öl- und Gas-Embargo muss koordiniert mit Europa ins Auge gefasst werden, damit es wirkt.» Die FDP sieht das ebenso. «Die Schweiz muss so schnell wie möglich die Abhängigkeit von russischem Gas verringern», sagt Freisinnigen-Chef Burkart. Ein Teil des russischen Gases könne relativ rasch durch Importe aus anderen Ländern ersetzt werden. Ein Öl-Embargo hätte derweil laut Burkart keine Konsequenzen für die Schweiz, da gar kein Öl aus Russland bezogen wird.
Nebst dem Rohstoffhandel sehen die Parlamentarierinnen und Parlamentarier aber noch weitere Möglichkeiten, die Sanktionen zu verschärfen. Zum Beispiel müsse Russland vollständig aus dem internationalen Zahlungssystem Swift ausgeschlossen werden, fordern Grünen-Nationalrätin Sibel Arslan (41) und FDP-Präsident Burkart unisono. Das gilt nebst einem (Teil-)Embargo des Öl- und Gashandels als eine der schärfsten möglichen Strafen gegen Russland.