Am kommenden Freitag jährt sich Russlands Angriff auf die Ukraine. Die Invasion bringt Tod und Schrecken, wirbelt Europa durcheinander und stellt damit auch die Schweiz vor schwierige Fragen. Wie stark soll sich der Bundesrat für die Ukraine engagieren? Darf die Schweiz Waffenexporte zulassen? Und: braucht es eine Anpassung der Neutralitätspolitik?
Antworten liefert eine Umfrage des Forschungsinstituts Sotomo im Auftrag von SonntagsBlick. Sie zeigt grosse Einigkeit darin, Wladimir Putin (70) zur Verantwortung zu ziehen. 70 Prozent der Befragten wollen Russlands Präsident vor ein Kriegsverbrechertribunal gestellt sehen. Und eine Mehrheit geht davon aus, dass der Krieg über das laufende Jahr hinaus andauern wird.
Doch bei der Frage, wie sich die Schweiz in diesem Konflikt positionieren soll, tun sich Gräben auf. Besonders auffällig: Die Jungen sind in Fragen der militärischen Unterstützung der Ukraine deutlich reservierter als die Älteren.
Fast die Hälfte der 18- bis 35-Jährigen will, dass sich die Schweiz in diesem Krieg deutlicher zurückhält. Nur 33 Prozent befürworten einen offensiveren Kurs. Genau umgekehrt sieht es bei der Generation der über 55-Jährigen aus. Rund die Hälfte fordert, dass sich die Schweiz stärker für die Ukraine einsetzt; nur ein Drittel wünscht sich mehr Zurückhaltung.
Graben zwischen Jung und Alt
Kein Wunder, gehen die Meinungen auch bei der Lieferung von eingemotteten Leopard-Panzern an Deutschland auseinander (als Ersatz für an Kiew geschickte Panzer). Bei den Jungen sprechen sich zwei Drittel dagegen aus – bei den Älteren fast genauso viele dafür (59 Prozent).
Auch in der Frage, ob Oligarchen-Vermögen für den Wiederaufbau in der Ukraine eingesetzt werden sollen, sind die Jungen deutlich skeptischer. Bei den Älteren sprechen sich 60 Prozent für eine Konfiskation dieser Gelder aus; bei den Jüngeren ist es nur eine Minderheit von 45 Prozent.
Wie erklärt sich dieser Graben zwischen Jung und Alt? Sotomo-Geschäftsführer Michael Hermann (51) meint: «Wer den Kalten Krieg erlebte, hat einen anderen Zugang zu Russland. Die Sowjetunion war damals ein Feindbild.» Hinzu komme, dass Ältere eher traditionelle Medien konsumieren – die aber haben sich mehrheitlich Ukraine-freundlich positioniert. «Jüngere hingegen sind eher in den sozialen Medien unterwegs, wodurch sie mit anderen, Russland-freundlichen Sichtweisen konfrontiert sind.»
Ein ähnlicher, aber weniger stark ausgeprägter Graben tut sich zwischen Männern und Frauen auf. Zwar hegen beide Gruppen wenig Sympathien für Putin. Doch die Frauen sind erheblich weniger bereit, der Schweiz eine aktive Rolle in diesem Konflikt zuzugestehen. Die Männer befürworten mehrheitlich Waffenlieferungen und ein stärkeres Engagement der Schweiz; überwiegend lehnen sie auch die Neutralitäts-Initiative der SVP ab (siehe Grafik). Nicht so die Frauen. Bei ihnen halten sich Befürworterinnen und Gegnerinnen der Neutralitäts-Initiative praktisch die Waage. Und eine knappe Mehrheit lehnt die Wiederausfuhr von Schweizer Kriegsmaterial an die Ukraine ab.
Hermann sieht eine Erklärung darin, dass weibliche und junge Befragte eher auf pazifistische Argumente ansprechen. «Sie lehnen den Krieg an sich ab und sind gegen eine starke Aufrüstung.» Es sei also nicht so, dass Frauen und Junge generell eine konservative Linie verfolgten.
Wenn es um die aussenpolitische Positionierung der Schweiz geht, spielt die politische Haltung allerdings eine grosse Rolle. Am klarsten pro-ukrainisch empfinden GLP-Wähler. Sie erwarten, dass sich der Bundesrat stärker für die Ukraine einsetzt, fordern die Lieferung von Panzern an Deutschland und sprechen sich deutlicher als alle anderen für eine enge Zusammenarbeit mit der Nato aus. Kurz: Die GLP-Basis setzt sich am stärksten für eine aussenpolitische Öffnung und eine offensivere Neutralitätspolitik ein.
Verweichlichte westliche Gesellschaft?
Am gegenüberliegenden Ende des politischen Spektrums stehen die Sympathisanten der SVP. Drei Viertel dieser Befragten fordern, die Schweiz solle sich neutraler verhalten; die überwiegende Mehrheit lehnt die Lieferung von Panzern an Deutschland ab.
Die Folge: Sogar zwischen SVP- und FDP-Wählern öffnet sich hier ein Graben. SVP-Wählerinnen nehmen häufiger Positionen ein, mit denen sie auch innerhalb des bürgerlichen Lagers am Rande stehen.
Dieses Phänomen könnte damit zu tun haben, dass die Neutralität ein Kernthema der Volkspartei ist, meint Hermann: «Ihr Credo lautet: Die Schweiz soll sich nicht einmischen.» Für die SVP steht damit der isolationistische Aspekt im Vordergrund, während andere Parteien eher Werte wie die humanitäre Tradition oder die Verteidigung der Demokratie ins Zentrum rücken.
Zudem, so argumentiert der Politgeograf, existiere in manchen SVP-Kreisen eine gewisse Bewunderung für Putin: «Der russische Präsident als Gegenentwurf zur woken, verweichlichten westlichen Gesellschaft.»
Über alle Parteigrenzen hinweg teilt sich die Schweiz in zwei nahezu gleich grosse Lager. 41 Prozent sind der Meinung, der Bundesrat tue zu wenig, um der Ukraine zu helfen. 41 Prozent finden, die Schweiz tue zu viel. «Und dann gibt es jene, die den bisherigen Kurs unterstützen – sich aber punktuell für mehr Support für die Ukraine aussprechen», sagt Hermann.
Dies zeige sich beispielsweise in der Frage, ob die Schweiz die Wiederausfuhr von Kriegsmaterial erlauben soll. Eine Mehrheit von 55 Prozent der Befragten ist der Meinung, Deutschland sollte der Ukraine importierte Schweizer Munition zur Verfügung stellen dürfen.
Hermann zieht deshalb folgendes Fazit: «Die Bevölkerung trägt den Kurs des Bundesrats grundsätzlich mit.» Bei einzelnen Punkten wie der Weitergabe von Kriegsmaterial sei das Parlament mit seinem offensiven Kurs indes näher an der Bevölkerung als der Bundesrat.
Und welche Chancen hat die Neutralitäts-Initiative der SVP? Laut Hermann sind die Meinungen darüber gemacht. Denn die Zahl der Befürworter und der Gegner habe sich seit der letzten Befragung vor einem Jahr kaum verändert.
Hermanns Prognose: «Obwohl eine starke Minderheit von etwas über 40 Prozent die Initiative unterstützt, wird sie es schwer haben, eine Mehrheit zu finden.»