Ein Wehrpflichtiger berichtet
Rekrutiert die Ukraine Soldaten in der Schweiz?

Ukrainer können auch im Ausland mobilisiert werden, heisst es. Was stimmt an diesem Gerücht? SonntagsBlick sprach mit einem Betroffenen.
Publiziert: 04.02.2023 um 17:50 Uhr
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Aktualisiert: 04.02.2023 um 22:08 Uhr
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Ukrainische Rekruten beim Training durch britische Streitkräfte.
Foto: AP
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Robin BäniRedaktor

Als seine Freunde zur Waffe griffen, ergriff er die Flucht: Ivan* ist 28 Jahre alt, ukrainischer Staatsbürger – und eigentlich Soldat. Doch er liegt in keinem Schützengraben und hört keine Geschosse einschlagen, denn er lebt in der Schweiz. Nach Kriegsausbruch verliess er wie viele junge Männer sein Land – laut ukrainischem Kriegsrecht drohen ihm drei bis fünf Jahre Knast. Männer im Alter von 16 bis 60 Jahren dürfen die Ukraine nicht verlassen. Ausnahmen gelten nur für Schwerkranke und in einigen Sonderfällen.

Wie viele Ukrainer aktuell den Militärdienst verweigern, lässt sich nicht abschätzen; wahrscheinlich sind es nicht wenige. Unmittelbar nach der Invasion entstanden im Online-Messengerdienst Telegram mehrere Kanäle mit mehr als 60 000 Usern, wo Ausweisdokumente verkauft und Tipps für eine erfolgreiche Flucht geteilt wurden.

Mittlerweile fehlt es an der Front zunehmend an Kämpfern. Die Verluste sind massiv, der Krieg droht noch lange zu dauern. Das ukrainische Militär intensiviert allem Anschein nach die Mobilmachung. In sozialen Netzwerken kursieren Videos, wie auf den Strassen der Städte Odessa, Charkiw und Mykolajiw Gestellungsbefehle verteilt werden. Obwohl das Verteidigungsministerium beteuert, es brauche keine weiteren Soldaten.

Keine praktische Umsetzung möglich

Dem widerspricht ein neuer Erlass: Am 30. Dezember verkündete die ukrainische Regierung ihren Beschluss Nr. 1487. Darin steht: Wehrpflichtige und Reservisten im Ausland sollen sich bei diplomatischen Behörden melden. Zudem soll bei einer Mobilisierung die Rückkehr ermöglicht werden. Der Erlass betrifft auch Ukrainer in der Schweiz, zum Beispiel Ivan. «Ich denke, die ukrainische Regierung will damit sagen: Nur weil ihr im Ausland seid, ist der Krieg für euch nicht zu Ende.»
Vielen Ukrainern sei das Blut in den Adern gefroren, sagt der junge Mann. Denn im Internet ging das Gerücht um, Ukrainer könnten sogar im Ausland mobilisiert werden. Doch ist das möglich?

Mediensprecher Samuel Wyss vom Staatssekretariat für Migration (SEM) antwortet: «In den relevanten ukrainischen Gesetzen zu Wehrdienstpflicht und Mobilisierung, die dem SEM bekannt sind, gibt es bisher keine Bestimmungen, welche Auslandsukrainer im wehrpflichtigen Alter zur Rückkehr verpflichten würden.» Zudem gebe es derzeit keine konkreten Möglichkeiten zu einer praktischen Umsetzung. Es gelte daher, weitere Schritte der ukrainischen Behörden abzuwarten. Wyss weiter: «Gerüchte, Ukrainer im Ausland würden einberufen, existieren seit Frühling 2022» – laut Medienberichten werden diese durch russische Desinformationskampagnen bewusst angefeuert.

Kiew könnte Ersuchen an die Schweiz stellen

Selbst wenn die Regierung in Kiew ihre Gesetze änderte: Wenn sie in der Schweiz Amtshandlungen durchführte, würde sie fremdes Hoheitsgebiet ignorieren und damit schweizerisches Recht verletzen. Die ukrainische Regierung könnte jedoch ein Strafübernahmeersuchen stellen, das die schweizerischen Behörden berechtigt, die Geflohenen im Auftrag Kiews strafrechtlich zu verfolgen.

Anfrage beim Bundesamt für Justiz (BJ) – Informationschefin Ingrid Ryser antwortet: «Bisher sind beim BJ keine solchen Strafübernahmeersuchen eingegangen.» Und: «Alle militärischen Delikte sind von der Rechtshilfe ausgenommen. Folglich auch Ersuchen im Rahmen einer Dienstverweigerung.» Das bedeutet: Ukrainer im Ausland können derzeit weder mobilisiert noch von Schweizer Behörden strafrechtlich verfolgt werden.

Der soziale Druck steigt

Doch je länger der Krieg dauert, desto stärker nimmt der soziale Druck zu. Wer sein Land nicht verteidigt, wird dort zur Persona non grata. Die innere Zerrissenheit kommt bei vielen hinzu. Ivan: «Ich bin Patriot, aber es ist besser, wenn in der Ukraine Professionelle kämpfen.» Er wolle mit Spenden helfen und habe bereits Kleiderpakete an die Armee geschickt. Mehr könne er aktuell nicht tun, denn: «Ich weiss nicht, ob ich auf einen Menschen schiessen kann.»

Die Angst zu sterben spricht er nicht an. Er erwähnt nur einen Freund, der in Bachmut kämpft: «Wenn er und weitere Freunde sagen, dass sie ohne mich nicht leben können … dann gehe ich.»

*Name geändert

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