CAS «Rebuild Ukraine» soll Ukrainerinnen dabei helfen
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Studiengangsassistentin:«Wir versuchen, ukrainische Forscher einzubeziehen»

Natalia Terekhova (38) wird in Bern für die Zeit nach der Rückkehr ausgebildet
Ukrainerinnen wollen ihr Land wiederaufbauen

Die neue Weiterbildung der Berner Fachhochschule soll Ukrainerinnen dabei helfen, ihre Heimat nach dem Krieg wiederaufzubauen.
Publiziert: 27.01.2023 um 09:17 Uhr
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Aktualisiert: 30.01.2023 um 11:06 Uhr
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Sie besprechen den neuen Stundenplan: Natalia Terekhova, Thomas Rohner, Natalia Popyk und Mariana Melnykovych (v. l.).
Foto: Lea Ernst
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Lea ErnstRedaktorin Gesellschaft

Natalia Terekhova (38) sitzt vor ihrem neuen Stundenplan. Montag: Wiederaufbau von Elektrizitätswerken. Dienstag: Urban Mining, also aus Kriegstrümmern Rohstoffe gewinnen. Hinzu kommen unter anderem der Bau von Waisenhäusern, Schadenanalyse, Korruptionsprävention und die Entwicklung von Heizungssystemen.

«Rebuild Ukraine» heisst die Weiterbildung, die die Berner Fachhochschule ab Februar anbietet. 30 geflüchtete Ukrainerinnen werden dabei eigene Projekte entwickeln und lernen, wie sie dabei helfen können, ihr Land nach dem Krieg wiederaufzubauen. Der Lehrgang Certificate of Advanced Studies (CAS) dauert vier Monate und ist dank der Zusammenarbeit mehrerer Schweizer Hochschulen und Unternehmen möglich.

Aus dem Raketenhagel nach Thun

«Zuerst dachte ich, dass wir nach ein paar Monaten wieder zu Hause sind», sagt Terekhova. Letzten März flüchteten sie und ihr Partner mit ihren Kindern sowie zwei Kindern ihrer Verwandten von Kiew nach Thun. Drei Monate lang wohnten sie bei einer Schweizer Familie, seither teilen sie sich mit zwei ukrainischen Frauen ein Haus.

Der Alltag fällt Terekhova im Wissen, dass Familie und Freunde in der Ukraine jeden Tag sterben könnten, sehr schwer. Sie würde sie gerne bald wiedersehen. Doch solange die Lage dermassen unsicher ist, bleibt sie mit ihren Kindern hier. «Wenn ich nur schon an den Raketenalarm zurückdenke, fühle ich mich in einen Horrorfilm versetzt», sagt sie.

Doch sobald der Krieg vorbei ist, will sie zurück. «Die Ukraine ist unser Zuhause.» 15 Jahre lang führte sie in Kiew eine Beratungsfirma im Bausektor. Als sie im Sommer an der Ukraine-Konferenz in Lugano vom neuen CAS hörte, war sie begeistert. «Ich dachte: Das ist die Gelegenheit, meinem Land zu helfen.»

Schweizer Fachhochschulen spannen zusammen

Als die russischen Truppen im Februar 2022 in die Ukraine einmarschierten, hielt Thomas Rohner (61) die Untätigkeit nicht aus. «Wir müssen doch etwas tun», sagte er zu seiner Frau. Heute ist er Studienleiter des CAS «Rebuild Ukraine». Der Professor für Architektur, Holz und Bau der Berner Fachhochschule sagt: «Womit könnte ich besser helfen als mit einer Weiterbildung für geflüchtete Ukrainerinnen?»

In nur einem Jahr ein CAS auf die Beine zu stellen, sei intensiv gewesen. Rohner wollte nichts komplett Neues ausarbeiten, sondern die Kompetenzen zusammenführen, die in der Schweiz bereits vorhanden sind. Er trommelte Fachhochschulen und Unternehmen zusammen – mit überwältigendem Echo. Alle wollten helfen. Jetzt steht der Lehrplan fürs CAS: theoretische Module an Fachhochschulen in Biel, Zürich, Rapperswil SG und Luzern, dazu praktische Workshops bei Unternehmen wie dem Sanitärkonzern Geberit.

Das CAS ist für Frauen mit direktem oder indirektem Bezug zum Bausektor gedacht. Doch auch Männer oder Quereinsteigerinnen dürfen mitmachen. «Wir geben ihnen die Methoden mit, damit sie den Wiederaufbau beurteilen und gestalten können», sagt Rohner.

«Meinem Land zu helfen, ist mein Lebensziel»

Im Frühlingssemester werden 30 Ukrainerinnen teilnehmen. Angemeldet haben sich 50. «Sieht so aus, als würde es auch ein Herbstsemester geben», meint Rohner. Essenziell ist für ihn: «Wir in der Schweiz haben keine Erfahrung mit dem Wiederaufbau nach einem Krieg.» Die konkreten Projektideen sollen deshalb von den Studentinnen selber kommen. Zusammen mit der ukrainischen Studiengangsassistentin Mariana Melnykovych (37) stellte Rohner Kontakte zu ukrainischen Unternehmen und Organisationen her, um eng mit diesen zusammenzuarbeiten.

Das CAS kostet 6500 Franken. Weil sich viele Geflüchtete das nicht leisten können, hat Rohner ein Patensystem organisiert: Firmen aus der Baubranche oder Privatpersonen sponsern jeweils eine Studentin.

Terekhova ist froh, das CAS absolvieren zu können. Nebst viel neuem Wissen erhofft sie sich ein neues Netzwerk und Kontakte. «Meinem Land zu helfen, ist mein Lebensziel», sagt sie. Wie der Krieg weitergehe, wisse niemand. Doch nach Kriegsende werde die Ukraine ein anderes Land sein. Jede und jeder werde mithelfen müssen, es zu gestalten. Die Weiterbildung hilft den Studentinnen dabei, sich darauf vorzubereiten.

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