Die Taliban haben innerhalb weniger Tage das ganze Land überrannt. Die gut ausgerüstete und zahlenmässig überlegene afghanische Armee hatte im Angesicht der Islamisten die Waffen niedergelegt – der Präsident des Landes setzte sich ins Ausland ab. Die Taliban verkündeten am Sonntag ihren Sieg.
Doch während sich der Präsident des Landes heimlich aus dem Staub gemacht hat, sammelt sein Vize, Amrallah Saleh (48), den Widerstand um sich. Nach dem Abgang des Präsidenten Ashraf Ghani sieht er sich als rechtmässiger Führer des Landes und will es nicht kampflos aufgeben. «Ich grüsse diejenigen, die die Nationalflagge tragen und so für die Würde der Nation und des Landes stehen», schrieb er am Donnerstag in einem Tweet. Auch anderswo im Land wehren sich die Menschen gegen die Taliban-Herrschaft. Ein Überblick:
Widerstandskämpfer aus dem Pandschir-Tal
Momentan befindet sich Vizepräsident Saleh im Pandschir-Tal – rund 100 Kilometer nordöstlich von Kabul. Dort baut er eine Widerstandsbewegung auf. Die Bewohner des abgelegenen Tals sind seit jeher mit den Taliban verfeindet. Saleh wird auch von ehemaligen tadschikische Soldaten der afghanischen Armee unterstützt – diese sind mit Panzern und Mannschaftswagen angerückt.
An Salehs Seite kämpft auch Ahmed Massoud, Kommandeur einer tadschikischen Miliz. Er ist der Sohn von Ahmed Schah Massoud (†48), dem «Löwen des Pandschirtals» – einem berühmten Anti-Taliban-Kämpfer, der bei einem Attentat 2001 ums Leben kam. Massoud war Anführer der sogenannten Nordallianz, die während der ersten Taliban-Herrschaft Widerstand geleistet hatten und später auch zusammen mit den USA gegen die Islamisten kämpften.
«Ich bin bereit, in die Fussstapfen meines Vaters zu treten, mit Mudschaheddin-Kämpfern, die bereit sind, es erneut mit den Taliban aufzunehmen», wird er in einem Bericht der «Washington Post» zitiert.
Wie der «Spiegel» berichtet, haben sich neben Saleh und Massoud auch der afghanische Verteidigungsminister und Teile der Armee ins Pandschir-Tal zurückgezogen. Unterstützung könnten sie auch von Kämpfern der ehemaligen Nordallianz bekommen.
Demonstrationen in den Städten
Widerstand gibt es in Afghanistan auch in Form von Demonstrationen. In den letzten Tagen gingen die Menschen in mehreren Städten auf die Strasse. In Asadabad im Nordosten des Landes beispielsweise seien bei der Demonstration am Donnerstag mehrere Menschen getötet worden, heisst es beim Fernsehsender Al Jazeera. Bei einer Demonstration in Jalalabad sollen zudem Schüsse gefallen sein.
Auch in der Hauptstadt Kabul gab es vereinzelte Proteste – Menschen schwenkten dabei die Flagge Afghanistans. Die Nationalflagge entwickelt zunehmend zu einem Protestzeichen gegen die Islamisten.
Die Rückkehr des Präsidenten
In der Zwischenzeit hat sich auch der geflüchtete Präsident Ghani wieder zu Wort gemeldet. In einer Videobotschaft sagte er am Mittwoch, dass bald wieder nach Afghanistan zurückkehren will.
Ob Ghani tatsächlich wieder nach Afghanistan geht und ob auch er sich am militärischen Widerstand beteiligen will, ist unklar. Sollte er aber tatsächlich zurückkehren, so könnte es zu einer Auseinandersetzung mit seinem bisherigen Stellvertreter Saleh kommen – es geht um die Frage, wer an der Spitze des Landes steht.
Gehen mit Feinden nicht zimperlich um
Während die Taliban einige der Demonstrationen bereits gewaltsam auflösten, ist noch unklar, wie sie gegen die Widerstandskämpfer im Pandschir-Tal vorgehen werden.
Klar hingegen ist: Mit ihren Feinden gehen die Islamisten nicht zimperlich um. In den vergangenen Tagen häuften sich Berichte über regelrechte Suchtrupps der Taliban, die mit Todeslisten von Haus zu Haus ziehen und frühere Kollaborateure jagen. (bra)