Die Ausbildung ukrainischer Soldaten im Westen ist eine der zentralen Säulen in der Nato-Strategie zur Unterstützung des von Russland attackierten Landes. Doch wie sinnvoll ist es, Kämpfer von der Front abzuziehen und sie Tausende Kilometer weit entfernt in Spanien, Grossbritannien oder Deutschland zu schulen? In einem Bericht der französischen Zeitung «Le Monde» äussern mehrere Ukrainer ihren Unmut über die Lehrgänge im Westen.
«Die Arbeit verrichtet hier allein die Infanterie in kleinen Gruppen – die Strategie der Nato können wir so gar nicht anwenden. Die Nato wird es irgendwann verstehen», erläutert etwa Ihor, stellvertretender Kommandant einer Mörsereinheit an der Bachmut-Front im Donbass. «Es mangelt an Soldaten. Wir können es uns nicht leisten, auf erfahrene Soldaten zu verzichten, indem wir sie zur Ausbildung in neuen Technologien und Kampftaktiken schicken», kritisiert er die Nato.
Bataillonskommandant Vadim (28) warnt davor, den Feind zu unterschätzen, wie das der Westen häufig tue: «Russland hat keine schwache Armee, sie haben sich sehr schnell angepasst, sie haben ein menschliches Reservoir, das wir nicht haben und Material in Hülle und Fülle.» Er schlägt vor, dass die Nato-Leute für einen Monat an die Front geschickt werden sollen. «Sie werden sehen, dass sich die Dinge jeden Tag ändern.»
Hinzu kommt bei der Ausbildung auch immer noch die sprachliche Barriere. «Die Übersetzung war und ist ein Problem. Einmal sagten uns die Ausbilder, dass wir auf unsere eigene Sicherheit achten sollten, bevor wir an die Verletzten denken. Die ukrainischen Übersetzer verstanden: ‹Wenn Sie Verwundete haben, töten Sie sie zu Ihrer Sicherheit›», erinnert sich Yeyhen (24), der ebenfalls an der Bachmut-Front kämpft, an seine Ausbildung in Grossbritannien im Juli 2022.
«Die Aktivitäten im Training», fährt er fort, «beschränkten sich auf Infanteriebewegungen ohne feindliches Feuer, ohne Granaten, ohne Minenfelder und ohne Scharfschützen, obwohl dies unser tägliches Leben vor Ort ist». Sogar die Tiefe der Schützengräben habe sich von denen an der Front unterschieden. «Wir mussten zwischen den verschiedenen russischen Kriegsgeräten unterscheiden, ohne dass man uns sagte, wie wir reagieren sollten, wenn sie auf uns zukamen». Yeyhen sucht seine Informationen deshalb auf Youtube, sowohl zum Umgang mit neuen Waffen als auch zur Taktik.
Humanitäre Minenräumung ist schwierig unter Beschuss
Feldwebel Vasil (33) ist an der Donezk-Front im Einsatz. Er verbrachte im Mai 35 Tage in Grossbritannien und koordinierte gemeinsam mit englischen und dänischen Verantwortlichen die Ausbildung von 200 Soldaten. «Ich habe ihnen gesagt, dass die Nato-Handbücher nicht für die Ukraine gelten, etwa für den Angriff auf die Schützengräben. Sie sagten mir, dass alles im Vorfeld geschrieben worden war», berichtet er.
Mehrmals sei es vorgekommen, dass die Ausbilder Youtube nutzten, um Lösungen zu finden, insbesondere für die Planung von Einsätzen oder um Meinungsverschiedenheiten beizulegen. Als Vasil Übungen in Kombination mit dem Einsatz von Drohnen forderte, wurde ihm gesagt, dass diese nicht geplant seien – obwohl Drohnen im Kriegsalltag dazugehören. «Wir haben nur ein Mal Drohnen benutzt, um unsere Infanteriemanöver vom Himmel aus zu beobachten», bemerkt Vasil. Er findet: «Länder, die nicht kämpfen, bringen uns das Kämpfen bei. Das Gegenteil sollte der Fall sein.»