Die ukrainische Gegenoffensive geht langsamer voran, als es sich die Führung in Kiew erhofft hat. Doch die Erfolgsmeldungen häufen sich zunehmend. Beinahe täglich berichten die Truppen der Ukraine von Durchbrüchen im Osten und Süden des Landes. Im Fokus der ukrainischen Truppen: Die 2014 von Russland annektierte Halbinsel Krim.
In den letzten Tagen und Wochen hat die Ukraine wichtige Knotenpunkte – wie das Hauptquartier der russischen Schwarzmeerflotte in Sewastopol – auf der Krim erfolgreich angegriffen. Bereits zu Beginn des Krieges stellte der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski (45) klar, dass die Rückeroberung der Krim eines der wichtigsten Kriegsziele der Ukraine ist.
Erobert die Ukraine die Krim zurück?
Ist das also der Versuch, die Krim wieder unter ukrainische Flagge zu bringen? «Nein», schätzt der österreichische Militärexperte Gerhard Mangott (57) im Gespräch mit Blick. «Die intensiven Angriffe auf die Krim haben nicht die direkte Rückeroberung als Ziel, sondern die Zerstörung wichtiger russischer Logistik.»
Im Militär nennt man dies «Operationen im rückwärtigen Raum», erklärt Mangott. Heisst in diesem Fall: Die Ukraine verbucht Erfolge fernab der eigentlichen Front – und beeinflusst damit die Geschehnisse an besagter Front. Denn mit dem Beschuss wichtiger logistischer Knotenpunkte auf der Krim verhindert die Ukraine, dass die russischen Truppen an der südlichen Front genügend versorgt werden.
Gegenoffensive nur mit Teilerfolgen
Diese Sabotage der russischen Truppen ist für die Ukraine aktuell sehr wichtig, denn: «Die Gegenoffensive ist nicht sehr erfolgreich, was Gebietsgewinne angeht» merkt Experte Mangott an.
Die Gründe dafür sind vielfältig. Das grösste Hindernis: Die russischen Truppen haben den Osten der Ukraine in ein einziges Minenfeld verwandelt. 30 Prozent des Landes haben die Russen laut Angaben der Kiewer Regierung Anfang September vermint. Teilweise sind Strecken von 16 Kilometern vermint.
Weder Soldaten – jeder Schritt könnte den sicheren Tod bedeuten – noch militärisches Gefährt schaffen dadurch einen schnellen Fortschritt. In Saporischschja und in Donezk hat das russische Militär Verteidigungsstellungen errichtet. Diese zu durchbrechen, hat sich für das ukrainische Militär ebenfalls als sehr schwierig erwiesen.
Dies hat zur Folge, dass die ukrainischen Ziele für die Gegenoffensive bis jetzt grösstenteils nicht erreicht wurden, zieht Militärexperte Mangott das ernüchternde Fazit. Beispielsweise ist es der Ukraine nicht gelungen, Melitopol zurückzuerobern oder bis zum Asowschen Meer vorzustossen.
Neue Gegenoffensive soll Erfolge bringen
Noch ernüchternder: Die Ukraine wird diese Ziele laut Mangott auch nicht mehr dieses Jahr erreichen. Denn der Winter naht. «Der schlammige Boden wird offensive Operationen erschweren.» Aufgeben ist für die Ukraine allerdings keine Option. Weiterkämpfen, ist das Motto der Truppen – auch im Herbst und Winter. Das hat die Militärführung in Kiew klargestellt.
Mangott vermutet allerdings, dass die Gegenoffensive im Winter weitgehend zum Erliegen kommen wird. Aber: «Es wird im nächsten Frühling eine zweite ukrainische Offensive geben.» Und diese wird, ist sich der Experte sicher, erfolgreicher sein als die erste.