Im Krieg ist es wie mit vielen Handlungen: Ohne gute Vorbereitung ist eine Niederlage vorprogrammiert. Wer aber genau plant und exakt kalkuliert, kann Erfolge verbuchen.
Beispiel gefällig? Die vergangenen beiden Horror-Nächte für die russischen Besatzer auf der seit 2014 besetzten Krim. Monatelang hat die Ukraine mit Angriffen auf Brücken, Munitionslager und zuletzt der Demontage wichtiger russischer Überwachungsradare die russischen Abwehrkräfte entscheidend geschwächt – und den Besatzern unter Putins Kommando in den vergangenen Stunden das feurige Finale geliefert.
Im Hafen der Krim-Stadt Sewastopol zerstörten ukrainische Raketen ein russisches 300-Millionen-Dollar-U-Boot (der erste U-Boot-Treffer seit Kriegsbeginn) und ein weiteres Kriegsschiff. Und gleich nebenan in Jewpatorija ging ein 1,1-Milliarden-Franken teures Luftabwehrsystem in Flammen auf. Eine Demütigung für Russland. Und ein weiterer Grund für Wladimir Putin (70), seine Drohung wahrzumachen: Wenn die Ukraine mit westlichen Waffen die Krim attackiert, dann heisst das Krieg zwischen Russland und der Nato. Doch jetzt schwenkt Putin plötzlich um.
Angst vor Monster-Stau auf der Krim-Brücke
Das russische Verteidigungsministerium sprach am Mittwoch davon, dass die Angriffe auf Sewastopol mit noch in der Sowjet-Zeit produzierten S-200-Raketen stattgefunden hätten. Westliche Experten aber bestätigen, dass mehrere von Grossbritannien gelieferte «Storm Shadow»-Raketen zum Einsatz kamen. Und der Chef der ukrainischen Luftwaffe bemerkte mit Blick auf Erfolge seiner «Storm Shadow»-Geschosse trocken, die russische Flotte auf der Krim habe eine «stürmische Nacht» hinter sich.
Eigentlich also ein Steilpass für Putin. Hier haben wirs: Die Ukraine attackiert mit westlichen Waffen unser Gebiet, könnte er sagen. Sein Verteidigungsminister Sergej Schoigu (68) hat ja erst kürzlich noch einmal bestätigt, dass westliche Waffen gegen die Krim gleichbedeutend wären mit einem westlichen Angriff auf Russland.
Russlands einzige Reaktion bislang: die erneute Sperrung der grossen Krim-Brücke zwischen der besetzten Halbinsel und dem russischen Festland für zivile Fahrzeuge. Wohl aus Angst, dass all die fliehenden russischen Touristen die Strasse verstopfen und die Militärfahrzeuge am Durchkommen hindern könnten.
Expertin schliesst Atomwaffeneinsatz nicht aus
Ansonsten aber hält Moskau still. Statt dem Westen ein Ultimatum zu setzen, verneint man den nachweislichen Einsatz von britischen Geschossen auf die Krim. Russland wirkt wie ein Pausenhof-Bully, der allen mit Schlägen droht – und dann angesichts des stärkeren Gegners plötzlich ganz kleinlaut wird. Tatsächlich schreibt etwa die amerikanische Denkfabrik Center for Strategic and International Studies (CSIS), dass sich die russische Gefahr für den Westen durch den Ukraine-Krieg kurzfristig sogar verringert habe.
Gulnaz Partschefeld (42), bis 2006 Moderatorin beim russischen Staatssender und heute Lehrbeauftragte für russische Kulturgeschichte an der Universität St. Gallen, sagt zu Blick: «Ich würde nicht ausschliessen, dass Putin bei einer sich abzeichnenden militärischen Niederlage zu taktischen Atomwaffen greift.» Entweder, um eine ukrainische Region oder Stadt zu vernichten, oder sich eine bessere Ausgangslage am Verhandlungstisch zu schaffen.
«Die Atomarsenale heute reichen nach wie vor für den nuklearen Overkill», sagt Partschefeld. Russland hat noch immer geschätzte 4489 atomare Sprengköpfe. «Ein Nuklearschlag wäre aber Putins letzte Handlung. Es wäre das Ende von Putin, und das weiss er auch.»