Zurzeit werden täglich Tausende Menschen aus Afghanistan ausgeflogen, um sie vor den Taliban in Sicherheit zu bringen. Aber: Es werden auch Tausende zurückgelassen, weil Ende Monat das Evakuierungsprogramm zu Ende geht.
Es herrscht pure Verzweiflung, denn die Zurückbleibenden müssen mit dem Tod rechnen. Wer entscheidet, wer fliegen darf und wer nicht?
Stark in die Evakuierung involviert ist die deutsche Regierung. Wie sie die Auswahl trifft, verrät sie nicht. Es gibt aber die Berliner Initiative «Luftbrücke Afghanistan», die Empfehlungen an das Auswärtige Amt macht. Täglich gehen rund 1000 Hilfegesuche ein, vor allem von Menschenrechtlern, Kulturschaffenden, aber auch von ranghohen Vertretern der gestürzten afghanischen Regierung.
Diese Leute kommen auf die Liste
Laut Mitinitiator Tilmann Röder, der als Rechtswissenschaftler an der Freien Universität Berlin arbeitet, haben höchste Priorität Personen, «von denen man annehmen muss, dass sie in höchster Lebensgefahr sind, wenn sie gefunden werden». Das sagt er gegenüber der «Frankfurter Allgemeine Zeitung».
Konkret seien das Symbolfiguren des früheren Staates wie Minister sowie ranghohe Mitarbeiter der Justiz, Sicherheitskräfte und des Geheimdienstes, die im Kampf gegen die Taliban besonders exponiert waren.
Bedroht seien auch Personen, die sich besonders sichtbar für Frauen- und Menschenrechte eingesetzt oder Gräueltaten der Taliban offen kritisiert haben, sagt Röder. Auch ein offen schwul lebender Mann, der sich islamkritisch geäussert hatte, kam auf die Prioritätenliste.
Sie entscheiden über Leben und Tod
Besonders gefährdet seien ausserdem Richter und Staatsanwälte, weil die Taliban Tausende Häftlinge aus den Gefängnissen entlassen haben, die nun auf Rache sinnen könnten, sagt Röder. Um die Chancen auf Rettung zu erhöhen, reicht er manche Anträge auch direkt an das amerikanische Aussenministerium weiter, wo eine ehemalige Kollegin von ihm tätig ist.
Die Entscheidungen bei der «Luftbrücke Afghanistan» werden auf mehrere Schultern verteilt. So ist es eine Kommission von drei Afghanistan-Fachleuten, die sich mit den Gesuchen auseinandersetzt. Denn die moralische und psychische Belastung, die mit dieser Triage einhergeht, ist massiv. Schliesslich geht es um Leben oder Tod. (gf)