Im Oktober wurde die Ukraine erneut Opfer eines Raketenangriffs aus Russland. Bei den Aufräumarbeiten fiel den Ukrainern in den Trümmern etwas Aussergewöhnliches auf.
Sie hatten das Wrack eines Unterschall-Marschflugkörpers vom Typ Kh-55 entdeckt. Wie General Wadim Skibitski, Sprecher der Hauptnachrichtendirektion des ukrainischen Verteidigungsministeriums, der «New York Times» sagt, wurde dieser in den 1970er als Träger für einen nuklearen Sprengkopf entwickelt. Und zwar in einer ukrainischen Waffenfabrik.
Sicherheitsgarantien gegen Waffen
Nach Angaben von Skibitski soll Russland die Rakete in den 1990er Jahren als Teil eines Waffenarsenals von der Ukraine erhalten haben.
Dies, nachdem das Budapester Memorandum 1994 unterzeichnet worden war. Bei diesem internationalen Abkommen ging es unter anderem um Sicherheitsgarantien für die Ukraine in Verbindung mit deren Beitritt zum Atomwaffensperrvertrag. Als Gegenleistung hatte sich das Land verpflichtet, alle Nuklearwaffen auf seinem Territorium zu vernichten oder an Russland zu übergeben.
Sprengkopf entfernt
Nun sollen Ukrainer also mit eigenen Waffen attackiert werden. Laut Skibitski hatte die russische Armee den Sprengkopf entfernt und Ballast hinzugefügt, «um die Tatsache zu verschleiern, dass er keine Nutzlast trug». Wie die Zeitung schreibt, sei dies auch vom Pentagon und dem britischen Geheimdienst bestätigt worden.
Im November fanden die ukrainischen Streitkräfte die Überreste von zwei weiteren Kh-55-Raketen, deren Sprengköpfe ebenfalls entfernt worden waren und die zur gleichen Waffentranche gehörten, die die Ukraine im Rahmen des Abkommens an Russland geliefert hatte.
Köder-Taktik
Skibitski sieht hinter dem Angriff mit den alten ukrainischen Raketen eine Köder-Taktik. Wenn die Kh-55-Raketen abgefeuert werden, sei die Ukraine gezwungen, ihr Luftverteidigungssystem zu aktivieren. Erst danach starten Putins Truppen moderne Raketen mit zerstörerischen Sprengköpfen.
Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion habe die Ukraine alle ballistischen Raketen sowie die strategischen Bomber Tu-160 und Tu-95 Russland übergeben, sagte Skibitski. «Jetzt setzen sie mit diesen Bombern Kh-55-Raketen gegen uns ein.» Es wäre besser, wenn man sie damals an die USA ausgeliefert hätte, glaubt er.
Skibitski geht zudem davon aus, dass die Raketenangriffe noch lange nicht vorbei sind. «Nach unseren Berechnungen haben sie Raketen für drei bis fünf weitere Angriffswellen», sagt er der «New York Times». «Das bedeutet, dass in einer Welle 80 bis 90 Raketen abgefeuert werden.» (man)