Am Dienstag hagelte es 100 russische Raketen auf die Ukraine. Über ein Dutzend Ortschaften wurden attackiert, zehn Millionen Menschen waren kurzzeitig ohne Strom, über 30 Infrastruktureinrichtungen wurden laut dem ukrainischen Innenminister Denys Monastyrskyi (42) beschädigt.
Nach Angaben der Ukraine war es der massivste Angriff seit Kriegsbeginn. Beim Angriff auf die ukrainische Hauptstadt wurden zwei zivile Gebäude beschädigt, mindestens eine Person kam dabei ums Leben. Die Hälfte der Kiewer Bevölkerung war ohne Strom, in Lwiw waren es rund 80 Prozent.
Russland rechtfertigt Angriffe
Das russische Verteidigungsministerium hat den massiven Raketenangriff auf die Energieversorgung der Ukraine mit deren angeblicher militärischer Bedeutung zu rechtfertigen versucht.
Ziel der Attacke seien «das militärische Kommandosystem der Ukraine und die damit verbundenen Energieanlagen» gewesen, sagte Sprecher Igor Konaschenkow (56) am Mittwoch in Moskau. Das Ziel des Angriffs sei erreicht worden, sagte er.
«Wir werden überleben»
Ukrenergo, der ukrainische Netzbetreiber, warnt am Mittwoch vor den Nachwehen der Anschläge. Es werde «harte Tage» geben, denn durch das kalte Wetter steige der Stromverbrauch und somit die Belastung des Stromnetzes. Nach den russischen Angriffen sei das Netz so angeschlagen, dass man mit weiteren Ausfällen rechnen müsse.
In einem online veröffentlichten Video warnte Präsident Wolodimir Selenski (44) die Ukrainer, dass weitere Raketenangriffe möglich seien, fügte aber hinzu: «Wir arbeiten, wir werden alles wiederherstellen, wir werden überleben.» Aufgeben ist für die Ukraine keine Option.
Russland will Ukraine einfrieren
Die Angriffe folgten Tage nach einem demütigenden Rückzug der russischen Streitkräfte aus der südlichen Stadt Cherson und fielen mit einem Gipfel der Gruppe der 20 Nationen in Bali zusammen, der von Diskussionen über den Krieg in der Ukraine dominiert wurde.
«Dies ist, was Russland zum Thema Friedensgespräche zu sagen hat», schrieb Aussenminister Dmytro Kuleba (41) auf Twitter. «Hört auf, der Ukraine vorzuschlagen, russische Ultimaten zu akzeptieren! Dieser Terror kann nur mit der Stärke unserer Waffen und Prinzipien gestoppt werden.»
Es sind Angriffe, die nochmals an Russlands perfide Taktik erinnern: Die Ukraine soll eingefroren werden. Bereits seit Wochen ist die ukrainische Stromversorgung immer wieder das Ziel russischer Angriffe. Bereits 50 Prozent der ukrainischen Energieinfrastruktur ist laut «Sky News» zerstört – nicht genug für Kremlchef Wladimir Putin (70).
Putin setzt «Einfrier»-Plan fort
Anfang November warf die Ukraine Russland «Energieterror» vor, mit dem Ziel, die Menschen in Dunkelheit, Kälte und Angst zu stürzen. Russland zeigte sich damals unbeeindruckt vom ukrainischen Vorwurf – und kündigte an, man werde mit den Angriffen auf ukrainische Infrastruktur fortfahren. Die grossflächigen Raketenangriffe vom Dienstag sind nun der Beweis dafür.
Gegenüber «Bild» erklärte der deutsche Osteuropaforscher Andreas Umland (45) schon im Oktober: «Was wir sehen, ist eine Strategie, um einen russischen Diktatfrieden zu erreichen und einen erneuten Winterkrieg zu vermeiden.» Putin wolle so die ukrainische Bevölkerung zwingen, «die eigene Regierung zum Einlenken zu bewegen», so der Experte. Umland fasst den Gedanken Putins zusammen: «Entweder ihr gebt die von uns annektierten Gebiete auf, oder wir bomben euch in den Kältetod.»