Mittlerweile ist es November, und noch immer ist im Ukraine-Krieg kein Ende in Sicht. Hatte Kreml-Chef Wladimir Putin (70) anfangs noch gehofft, binnen weniger Wochen das Land zu erobern, haben die Russen mittlerweile ihre Strategie geändert. Mittlerweile wird die kritische Infrastruktur in der Ukraine ins Visier genommen. Per Fernbeschuss werden Kraftwerke, Öl- und Gasspeicher sowie Verkehrsknotenpunkte angegriffen.
Ein Ablenkungsmanöver, das den Russen an der Front Zeit verschaffen soll, sich auf den nächsten Angriff vorzubereiten, erklärte der australische Militärexperte und Ex-General Mick Ryan im Oktober. Für ihn ist klar: Die Russen spielen auf Zeit. Er und andere Experten sind daher sicher, dass der Ukraine-Krieg auch noch nächstes Jahr weitergeht.
Das dürfte auch Putin klar sein. Wie genau die Russen weitermachen könnten, erklärt Mick Ryan auf Twitter und unterteilt den Putin-Plan in fünf Punkte.
Nummer 1: Attacken aus der Luft
Die Russen werden mit ihrer Luft-Strategie fortfahren und weiter strategische Ziele attackieren. Nicht nur die Infrastruktur der Ukrainer, sondern auch militärische Ziele, wie «Logistik- und Ausbildungszentren». Insbesondere die Luftabwehr der Ukrainer werden Putins Truppen unter Beschuss nehmen. Denn sie verhindern, dass Drohnen und Raketen durchkommen. Ryan: «Der zunehmend wirksame ukrainische Luftschutzschild stellt eine Bedrohung für die strategischen Ziele Russlands dar.»
Nummer 2: Eroberte Gebiete sichern
Die Russen haben bereits einen Teil der Ukraine erobert, und genau diese Gebiete gilt es zu schützen. Die Ukraine hat bereits von Putins Armee eroberte Gebiete wieder einnehmen können. Binnen weniger Tage konnte die Ukraine nach eigenen Angaben mehr als 400 Quadratkilometer Gebiet in der Region Cherson zurückerobern. Weitere Verluste müssten um jeden Preis verhindert werden.
Nummer 3: Die Russifizierung der Ukraine
Die von Russland kontrollierten Gebiete in der Ukraine werden weiter russifiziert werden, schreibt der australische Ex-General. Er spricht von «politischen Aktivitäten», führt dies aber nicht weiter aus. Er verweist nur auf die Stadt Cherson. Dort habe man gesehen, wie Russland vorgehe. Die Stadt, die in der Nähe der von Moskau annektierten Halbinsel Krim liegt, war die erste grössere ukrainische Stadt, die nach dem Beginn der Offensive am 24. Februar von russischen Streitkräften eingenommen wurde. Ende September annektierte Moskau das Gebiet im Süden der Ukraine. Die Russifizierung der eroberten Gebiete sei wichtig, damit Putin weiter seine Invasion legitimieren könne.
Nummer 4: Stellungskriege erzwingen
Ebenfalls wichtig für das kommende Jahr sei es, dass das russische Militär entlastet wird. Dafür dürften «Kräfte sparende» Missionen folgen. Mit dem Ziel: Die Ukrainer an bestimmten Orten zu einem Stellungskrieg zu zwingen. Damit gewinne man Zeit und die Ukrainer könnten keine Offensiven starten, um Gebiete zurückzuerobern. Putins Armee musste hohe Verluste verzeichnen. Daher musste der Kreml-Chef eine Teilmobilmachung verkünden, um weitere Soldaten an die Front schicken zu können.
Nummer 5: Armee effizienter machen
Für das kommende Jahr dürfte ein letztes grosses Ziel sein, «die Effektivität der russischen Boden- und Luftstreitkräfte auf dem Schlachtfeld zu verbessern», schreibt Ryan. Das bedeutet, dass die Russen versuchen werden, die Versorgung der Armee zu steigern, um für Nachschub zu sorgen. Denn gerade an Ausrüstung, Munition und Waffen mangelt es offenbar an der Front. Immer wieder gibt es Berichte von Soldaten, die sich über die schlechte Logistik beklagen. Dazu würden die Russen auch daran arbeiten müssen, die Luft- und Bodentruppen besser zu koordinieren. Hier habe es in der Vergangenheit öfters Probleme gegeben.
Die Ukraine kann den Krieg gewinnen
Mick Ryan erklärt auch, wie die Ukraine und der Westen auf diese fünf Punkte reagieren können. «Erstens ist eine kontinuierliche westliche Unterstützung – in Form von Ausrüstung, Ausbildung, Finanzmitteln und humanitärer Hilfe – erforderlich.»
Es werde Zeit, Ressourcen und strategische Geduld brauchen, damit die Ukraine sich durchsetzen könne. Besonders wichtig sei es, genügend Luft- und Raketenabwehr zu liefern. Gerade, weil die Russen weiter auf Angriffe aus der Luft setzen werden. Besonders, weil Putins Truppen weitere Kamikaze-Drohnen aus dem Iran erhalten werden.
Im Winter werde der Krieg an Tempo verlieren. Und genau dadurch hätten die Russen, aber auch die Ukrainer und der Westen, genügend Zeit, um sich für das kommende Jahr vorzubereiten. Wie genau Putins Pläne sind, könne Ryan natürlich nicht sagen. Seine Punkte und Gedanken seien keine genaue Vorhersage. «Das ist unmöglich – dafür gibt es im Krieg zu viele Unwägbarkeiten.» (jmh)