Russland rekrutiert Gefangene für Krieg – Betroffene erzählen
«Die Generäle führen uns zur Schlachtbank»

Russische Gefangene tauschen ihre Verurteilung gegen ein halbes Jahr Krieg in der Ukraine ein. Doch nun werden sie gezwungen, an der Front zu bleiben. Ein Kämpfer berichtet, wie die Generäle den Tod der Verurteilten in Kauf nehmen.
Publiziert: 15.08.2023 um 16:07 Uhr
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Aktualisiert: 21.08.2023 um 14:43 Uhr
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«Russland zu dienen ist ein richtiger Job.» Damit wirbt die russische Armee für den Einsatz in der Ukraine. In Wahrheit werden vor allem auch Gefangene angeworben. (Symbolbild)
Foto: keystone-sda.ch

Die russische Armee rekrutiert seit diesem Jahr einen Teil ihrer Streitkräfte für den Angriffskrieg in der Ukraine in Gefängnissen. Die Verurteilten haben Sechs-Monats-Verträge unterschrieben, danach sollten sie begnadigt werden. Nachdem ein Grossteil von ihnen auf dem Schlachtfeld gestorben ist, setzen die Generäle die Gefangenen mit Drohungen unter Druck, damit diese an der Front bleiben und neue Verträge unterschreiben.

Drei dieser Gefangenen berichten der «New York Times» nun vom Zustand der Truppe im Ukrainekrieg. Sie erzählen, wie die Leben der Verurteilten verheizt werden, damit Russland eroberte Gebiete halten kann. Ein mittlerweile getöteter Gefangenensöldner namens Dimitri sagt: «Wir sind nur Köder, damit der Feind seine Artillerie-Stellung verrät.» 

So erzählt auch ein Mann namens Aleksandr, dass er noch keinen ukrainischen Soldaten gesehen und kaum einen Schuss abgefeuert hätte. Stattdessen erfolgen die meisten Angriffe aus der Luft. Die Gefangenen-Truppe habe keine Möglichkeit, sich gegen die konstanten ukrainischen Bombardierungen zu wehren. Von Aleksandrs 120 Mann starken Gruppe seien noch 40 Überlebende übrig. 

«Wir werden zur Schlachtbank geführt. Für die Generäle sind wir keine Menschen, weil wir Kriminelle sind», sagt Aleksandr. Der Vater von zwei Kindern hatte jüngst wegen Mordes eine lange Gefängnisstrafe erhalten. Er folgte dem Begnadigungsangebot der russischen Armee, weil er fürchtete, die Folter im russischen Gefängnis nicht zu überleben. Neben der Begnadigung versprach die Armee ihm umgerechnet rund 1750 Franken Monatslohn. Seit März 2023 ist er an der Front.

Leichen werden liegengelassen

Zum Teil erhalten die Gefangenen laut Aleksandr tagelang keine Verpflegung. Seine Truppe habe Hartkekse plündern und Regenwasser trinken müssen, erzählt Aleksandr. Im Mai überlebte er zudem eine Bombardierung bei einer Mission zur Verminung des Bodens. Er wurde auf der von Russland annektierten Halbinsel Krim behandelt. Als die russische Armee ihn wieder ins Kriegsgebiet schickte, konnte er noch nicht wieder richtig laufen. 

Gemäss Angaben der BBC machen Gefangenensöldner seit dem Frühjahr den Grossteil der russischen Kriegsopfer aus. «Leichen liegen überall. Niemand interessiert sich dafür, sie einzusammeln», sagt Aleksandr der «New York Times». Die Überreste seiner toten Kameraden auf dem Schlachtfeld würden von Hunden angeknabbert, weil die Armee verboten habe, sie vom Schlachtfeld zu entfernen. So werden die Getöteten als «vermisst» anstatt als «im Kampf gefallen» registriert. Den Hinterbliebenen stehen damit keine Kompensationsrenten zu.

Das russische Verteidigungsministerium kommentierte die Darstellung gegenüber der «New York Times» nicht. (dru)

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