Es war einst eine grosse internationale Bühne Russlands. Jetzt ist der seit 2004 jährlich in Sotschi durchgeführte Waldai-Diskussionsklub bloss noch eine Propagandashow unter Regimetreuen. Auch in diesem Herbst scharte sich die russische Elite wieder im luxuriösen Ferienort an der östlichen Schwarzmeerküste. Dabei legte sich Kriegspräsident Wladimir Putin (71) am Donnerstag die Geschichte zurecht, wie ihm beliebte. Putin machte unumwunden deutlich, dass er sein Russland als die wahre Führungsnation der Welt erachtet – um dauerhaften Frieden zu bringen.
Putin beteuerte, der Westen habe den Konflikt in der Ukraine 2014 entfacht. Die Nato-Erweiterung, so Putins gebetsmühlenartig wiederholtes Argument, bedrohe die russische Sicherheit. Russland stelle bloss seine Grundsätze für eine neue, multipolare Weltordnung auf. Die Vereinten Nationen und das moderne Völkerrecht seien «veraltet und werden demontiert». Mit anderen Worten: Putin marschierte in die Ukraine ein, damit die Welt ein besserer Ort werde.
Mit seinen Waldai-Äusserungen machte der Kreml-Chef einmal mehr deutlich: Seine Ziele in der Ukraine gehen über die Eroberung eines begrenzten zusätzlichen Gebiets hinaus. Putin sagte ausdrücklich, der Konflikt in der Ukraine sei kein «Territorialkonflikt». Als flächenmässig grösstes Land der Erde brauche Russland nicht noch mehr Gebiete: «Das Problem ist viel umfassender und grundlegender und betrifft die Grundsätze, die der neuen internationalen Ordnung zugrunde liegen.»
Putin macht praktisch Notwehr geltend
Russland habe der «endlosen Expansion» des Westens den Riegel vorzuschieben, so Putin auf der Waldai-Bühne: «Wir sind gezwungen, auf den immer stärker werdenden militärischen und politischen Druck zu reagieren. Ich habe schon oft gesagt, dass nicht wir es waren, die den sogenannten ‹Krieg in der Ukraine› begonnen haben. Im Gegenteil, wir versuchen, ihn zu beenden.»
Bezeichnenderweise nahm Putin dabei wieder das Wort «Krieg» in den Mund. Der Invasor versucht, den Begriff seit Beginn der sogenannten militärischen Spezialoperation im Februar 2022 tunlichst zu vermeiden. Im Dezember war ihm ein einziger Versprecher unterlaufen. Jetzt hat er den Konflikt wieder als Krieg bezeichnet – indem er den Westen als den Aggressor beschuldigt.
Und er verwendete den Begriff gleich mehrmals: «Dieser Krieg, den das Regime in Kiew mit tatkräftiger und direkter Unterstützung des Westens begonnen hat, dauert nun schon mehr als neun Jahre an, und Russlands spezielle Militäroperation zielt darauf ab, ihn zu beenden.» Als Auslöser für den Krieg nennt Putin damit die Maidan-Revolution in Kiew – was Moskau damals für den Einmarsch im Donbass nutzte. Russland habe seither «sein Bestes versucht», das ukrainische Volk zu schützen und zu unterstützen.
Nein zu Gewalt und Diktaturen
In seinem Exkurs glitt Putin beinahe ins Absurde ab. Er will die neue Weltordnung, angeführt von Russland: «Ein dauerhafter Frieden wird nur möglich sein, wenn sich alle Menschen sicher fühlen», sagt Putin. «Russland war, ist und wird eines der Fundamente dieses neuen Weltsystems sein.»
Russland sei «bereit zu konstruktiver Interaktion mit allen, die nach Frieden und Wohlstand streben, aber auch bereit zu hartem Widerstand gegen diejenigen, die sich zu den Prinzipien von Diktatur und Gewalt bekennen». Er glaube, so Putin, dass sich unter der Anführung Russlands «Pragmatismus und gesunder Menschenverstand durchsetzen werden und eine multipolare Welt entstehen wird».
ISW: Kein anderer Weg für Frieden als eindeutige Niederlage Russlands
Eine Analyse der US-Denkfabrik Institute for the Study of War (ISW) legte unlängst die Gründe für Putins Einmarsch in der Ukraine vor. Sein Hauptziel sei die Spaltung der Nato-Länder – und letztlich die Zerstörung des Militärbündnisses.
Für die ISW-Experten ist klar: «Es gibt keinen anderen Weg für Frieden, als Russland eine eindeutige militärische Niederlage zuzufügen. Dieser Krieg kann nur enden, wenn Putin weiss, dass er nicht gewinnen kann.»