Abgeordneter reicht Klage ein, da Kreml-Chef gegen eigene Zensurgesetze verstösst
Putin nennt Ukraine-Spezialoperation zum ersten Mal «Krieg»

Viele Russen sind deswegen in Haft: Der Gebrauch des Wortes «Krieg» im Zusammenhang mit der Ukraine steht in Russland unter Strafe. Putin vermied das Wort bislang. Jetzt bezeichnete er den Konflikt erstmals als «Krieg». Dafür soll er laut einem Kritiker vor Gericht.
Publiziert: 23.12.2022 um 01:57 Uhr
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Aktualisiert: 23.12.2022 um 11:52 Uhr
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Der russische Präsident und Oberbefehlshaber der Streitkräfte, Wladimir Putin, stellte sich am Donnerstag Fragen von Journalisten.
Foto: AFP
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Daniel KestenholzRedaktor Nachtdienst

Freudscher Versprecher? Schon vor Beginn der Ukraine-Invasion vermied es der russische Präsident Wladimir Putin (70) tunlichst, von einem drohenden Krieg zu sprechen. Seit dem Einmarsch in der südlichen ehemaligen Sowjetrepublik verwendet Putin den Euphemismus «militärische Spezialoperation».

Nach fast 10 Monaten Krieg, in denen ganz Russland die brutale Eroberungskampagne in der Ukraine konsequent als Sonderoperation zu bezeichnen hat, sprach der Kreml-Chef jetzt zum ersten Mal von einem «Krieg». Dies, während Kriegsgegner in Russland dafür verfolgt werden, den Begriff in den Mund zu nehmen.

«эту войну»

«Unser Ziel ist es nicht, dieses Schwungrad eines militärischen Konflikts weiterzudrehen, sondern im Gegenteil, diesen Krieg zu beenden», sagte Putin am Donnerstag. «Das ist es, was wir anstreben», antwortete Putin auf die Frage eines Journalisten, in einer im Fernsehen übertragenen Pressekonferenz im Anschluss an eine Regierungssitzung.

Deutlich ist zu hören, wie Putin «diesen Krieg» sagt, «эту войну» (phonetisch: etu vajnu). Die russische Zeitung «Iswestija» zitiert Putin unzensiert. Die meisten russischen Medien dagegen ändern den Begriff mit Selbstzensur in «diesen Konflikt».

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«Krieg» gilt als strafbare Fake News

Putin hat schon viele Umschreibungen gebraucht, um den Tod von Zehntausenden und die horrenden Zerstörungen in der Ukraine zu rechtfertigen. Abwechselnd sprach er von «Entnazifizierung» und «Befreiung».

Nach dem Einmarsch in der Ukraine und dem Ausbruch von Antikriegsprotesten in Russland hatten es die Behörden zur Pflicht gemacht, dass lediglich von einer «speziellen Militäroperation» in der Ukraine gesprochen werden darf.

Drakonische Strafen verbieten die Verbreitung von Falschnachrichten. Denn solche würden auch die Streitkräfte diskreditieren. Damit steht unter Strafe, den Krieg als «Krieg» zu bezeichnen.

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Klage gegen Putin

Aufgrund dieser Gesetzesverschärfung sind Berichten zufolge bis Oktober rund 5000 Menschen in Russland angeklagt worden. Viele erhielten hohe Geldstrafen, in rund hundert Fällen drohen bis zu 15 Jahre Haft – für einen Begriff, den jetzt auch das russische Staatsoberhaupt in den Mund genommen hat.

Prompt reagierte der St. Petersburger Bezirksabgeordnete und Putin-Kritiker Nikita Juferew. Er reichte Klage gegen Putins Gebrauch des Wortes ein. «Putin nannte den Krieg einen Krieg», so Juferew auf Twitter, und postete dazu die Gerichtspapiere. Dabei sei der Begriff weiterhin verboten. Mehrere Tausend Menschen seien bereits verurteilt worden, weil sie sich so über den Krieg geäussert hätten wie jetzt Putin.

«Ich habe die Behörden gebeten», fährt Juferew fort, «gegen Putin wegen der Verbreitung von Fake News über die Armee zu ermitteln.» Der Politiker fordert die russische Generalstaatsanwaltschaft und das Innenministerium auf, ein Strafverfahren gegen Putin einzuleiten. Dieser verletzte das Gesetz über die Verbreitung von «Falschnachrichten» über die russische Armee.

Anschuldigung ist symbolisch

Chancen auf juristischen Erfolg hat die Klage nicht, denn zuletzt hatten auch schon mehrere kremlnahe Propagandisten von Krieg gesprochen, ohne belangt zu werden. Die russische Justiz hat selbst in der Forderung von Anton Krassowski, Sendedirektor beim Kremlsender RT, ukrainische Kinder zu verbrennen oder zu ertränken, keine strafwürdige Handlung festgestellt.

Juferew musste hingegen im September eine Ordnungsstrafe wegen Diskreditierung der Armee zahlen. Zuvor hatte er gemeinsam mit anderen Abgeordneten eines Stadtteilparlaments in St. Petersburg das russische Parlament, die Staatsduma, dazu aufgefordert, Putin wegen des Kriegs in der Ukraine wegen Hochverrats anzuklagen.

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