Seit Monaten bittet die Ukraine um die Lieferung deutscher Taurus-Marschflugkörper. Diese Waffe hat eine Reichweite von mehreren hundert Kilometern und birgt gewaltige Zerstörungskraft – sie wäre eine willkommene Hilfe für die ukrainische Armee im Krieg gegen die russischen Besatzer.
Doch der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz (65) verweigert vorerst eine Lieferung. Das berichtet die «Bild»-Zeitung unter Berufung auf deutsche und ukrainische Regierungskreise.
Angst vor Zerstörung von Putins Prestigeobjekt
Doch warum zögert Scholz? Offenbar aus Sorge vor möglichen Plänen der Ukrainer, die Krimbrücke zur Halbinsel Krim – ein Prestigeobjekt von Wladimir Putin (70) und wichtige Versorgungslinie der russischen Truppen im Süden – zu zerstören.
Laut «Bild»-Zeitung gab es in den vergangenen Wochen Unterredungen mit britischen Regierungsvertretern, die Deutschland von der Lieferung überzeugen wollten. Dabei habe die deutsche Seite die Sorge geäussert, dass die Brücke auf der Krim mit der deutschen Waffe zerstört werden könnte.
Taurus nicht mit Storm Shadow vergleichbar
Bundeskanzler Scholz stellte sich laut der Zeitung in einer internen Sitzung den Fragen des Auswärtigen Ausschusses des Bundestags. Dort habe der Kanzler betont, dass die Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern nicht mit britischen und französischen Marschflugkörpern vom Typ Storm Shadow vergleichbar sei. Grossbritannien und Frankreich steuern die Geodaten für die Angriffsziele demnach direkt selbst bei und sind auch mit eigenem Personal involviert.
Eine Bestätigung für das Taurus-Nein gabs allerdings zunächst nicht. «Zur Frage von Taurus-Marschflugkörpern gibt es keinen neuen Sachstand mitzuteilen», sagte eine Regierungssprecherin zur DPA. Im Klartext bedeutet das: Eine formelle Entscheidung existiert weiter nicht.
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«Totalausfall Deutschlands»
Allerdings sprechen Berlin und Kiew über die Verstärkung der ukrainischen Luftabwehr und die mögliche Lieferung weiterer Patriot-Abwehrraketen aus Deutschland. Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski (45) sagte unterdessen, Kiew tue derzeit «alles» dafür, um noch vor dem Winter neue Luftabwehrsysteme zu erhalten.
Der CDU-Aussenpolitiker Roderich Kiesewetter (60) kritisierte die Haltung des Kanzlers. «Mit der Absage der Taurus-Lieferung bestätigt Scholz den Totalausfall Deutschlands als selbsternannte Führungsnation für europäische Sicherheit und stösst unsere Partner wie Grossbritannien und Frankreich vor den Kopf, die bereits Marschflugkörper liefern», sagte Kiesewetter der «Bild». Mit Taurus hätte die Ukraine eine Chance, «die russischen Versorgungslinien zur Krim abzuschneiden und die Krim zu befreien, um so den Krieg rascher zu beenden».
Die Ukraine befürchtet, dass Russland bald auch das ukrainische Energienetz wieder verstärkt ins Visier nimmt, wie Selenski sagte. Kiew warte zudem «auf bestimmte Entscheidungen unserer Partner», fügte er hinzu. Einzelheiten nannte er allerdings nicht. (AFP/neo)