Militär-Experten analysieren
Darum ist Putin wirklich in die Ukraine einmarschiert

Was hat Kreml-Chef Wladimir Putin wirklich zum Einmarsch in die Ukraine bewegt? Eine neue Analyse könnte helfen, Licht ins Dunkel zu bringen.
Publiziert: 02.10.2023 um 12:00 Uhr
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Aktualisiert: 02.10.2023 um 14:17 Uhr
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Russlands Präsident Wladimir Putin macht verschiedene Gründe für den Einmarsch in der Ukraine geltend.
Foto: IMAGO/SNA
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Sven ZieglerRedaktor News

Eine «existenzielle Bedrohung des Westens durch die Nato», die «Befreiung des russischsprachigen Volkes im Donbass» oder die «Entnazifizierung und Entmilitarisierung» der Ukraine. Gebetsmühlenartig wurden nach dem Einmarsch Russlands in der Ukraine die immergleichen Argumente wiederholt, weshalb die «militärische Spezialoperation», wie Moskau den Krieg offiziell nennt, notwendig sei.

Dass die Argumente der Kreml-Führung kaum stichhaltig sind, war bereits früh klar. Unklar blieb bislang allerdings, was genau den russischen Präsidenten Wladimir Putin (70) tatsächlich zum Einmarsch bewegte. Nun versucht die US-Denkfabrik Institute for the Study of War (ISW) Licht ins Dunkel zu bringen.

Demnach marschierte Putin nicht aus Angst vor einer direkten Konfrontation mit der Nato im Nachbarland ein. Vielmehr habe der Kreml-Chef geglaubt, dass das westliche Verteidigungsbündnis äusserst schwach sei und er die Kontrolle über die Ukraine schnell und einfach wieder zurückerlangen könne. Bereits seit dem Einmarsch im Donbass im Jahr 2014 nutzte Putin dafür verschiedene Mittel auf politischer und militärischer Ebene, analysieren die Militär-Experten.

Pandemie-Blase als Katalysator

So habe der Kreml eine enge Partnerschaft mit dem Nato-Mitglied Ungarn aufgebaut. Das Ziel: Resolutionen im Zusammenhang mit einem möglichen Nato-Beitritt der Ukraine blockieren. Ausserdem startete der Kreml schon früh «eine gezielte Kampagne, um den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan zu vereinnahmen», schreibt das ISW in dem Bericht. Das Hauptziel: die Spaltung der Nato-Länder – und letztlich die Zerstörung des Militärbündnisses.

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Nach den jahrelangen Bemühungen auf politischer Ebene sei Putin dann während der Pandemie in einer «ideologischen und selbstreflexiven Blase versunken», heisst es in der Analyse weiter. Dabei sei der Kreml-Chef zunehmend besessen von der Idee gewesen, die Ukraine zu kontrollieren. Putin glaubte immer mehr, dass Russland nach dem Zerfall der Sowjetunion vom Westen erniedrigt worden sei. «Putin ist besessen von der Vergangenheit und hat das Interesse an der Gegenwart verloren», schrieb der russische Journalist Michail Sygar (42) schon 2022 in einem Artikel der «New York Times».

Diplomatische Lösung «kaum denkbar»

Dass die Ukraine der Nato beitreten könnte, sei demnach nicht im Vordergrund der Invasion gestanden, analysiert das ISW. Zum Zeitpunkt des Einmarsches sei die Ukraine von einem Beitritt weit entfernt gewesen, Fortschritte in den Verhandlungen habe es seit Jahren nicht mehr gegeben. Vielmehr seien der Machtausbau Russlands, die Einnahme der Ukraine und die Zerstörung der Nato als Bündnis im Vordergrund gestanden – und: Putins persönliche Rache am Westen für die Zeit nach dem Ende der Sowjetunion.

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Durch die festgefahrenen Ansichten Putins sei eine Lösung auf diplomatischer Ebene kaum denkbar, schreibt das ISW. Putin machte in den vergangenen Wochen zwar immer wieder klar, dass er zu Gesprächen bereit sei – aber nur zu den Bedingungen Russlands. Diese beinhalten etwa, dass der Westen die annektierte Halbinsel Krim als russisches Gebiet anerkennt.

Für die Experten der Denkfabrik ist deshalb klar: «Es gibt keinen anderen Weg für Frieden, als Russland eine eindeutige militärische Niederlage zuzufügen. Dieser Krieg kann nur enden, wenn Putin weiss, dass er nicht gewinnen kann.»

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