In der Luft entlang der Frontlinie im Ukraine-Krieg befinden sich Tausende ukrainische und russische Drohnen. Vom billigen Quadrocopter bis zu Langstreckendrohne, die Hunderte Kilometer zurücklegen und stundenlang auf ihr Ziel gerichtet bleiben kann, ist alles vertreten. Mit den Drohnen können feindliche Stellungen angegriffen werden und sie dienen auch der Aufklärung.
Die Verwendung von zahlreichen Drohnen hat das Wesen des Krieges verändert: Kaum eine Bewegung bleibt unentdeckt. Neue integrierte Gefechtsführungssysteme liefern Bilder und Standorte in Echtzeit und ermöglichen eine blitzschnelle Zielerfassung.
«Überlebensdauer nicht mehr als zehn Minuten»
Die «Washington Post» besuchte das Special Operations Center A des Sicherheitsdienstes der Ukraine in der Ortschaft Tschassiw Jar nahe Bachmut. Generalmajor Vadim Skibitski, stellvertretender Befehlshaber des militärischen Nachrichtendienstes der Ukraine (HUR), beschreibt die Veränderungen auf dem Schlachtfeld gegenüber der Zeitung wie folgt: «Heute kann eine Panzerkolonne oder eine Kolonne vorrückender Truppen in drei bis fünf Minuten entdeckt und in weiteren drei Minuten getroffen werden. Die Überlebensdauer während der Bewegung beträgt nicht mehr als zehn Minuten.» Überraschungen seien so nur noch schwer möglich.
Die technologische Revolution stellt auch einige grundlegende Konzepte der US-Militärdoktrin infrage. Manöver mit kombinierten Waffen, bei denen grosse Gruppen von gepanzerten Fahrzeugen und Panzern eingesetzt werden, um schnelle Durchbrüche zu erzielen, seien nach Ansicht einiger Soldaten in Tschassiw Jar im Prinzip nicht mehr möglich, schreibt die Zeitung. Genau dies hätten die verbündeten Amerikaner jedoch bei der Gegenoffensive von der Ukraine verlangt.
Zeiten der massiven Bodenangriffe sind vorbei
Nach Ansicht ukrainischer Kommandeure bedeutet die Entwicklung zwangsläufig, dass der Konflikt nicht so bald enden wird. Auf dem Schlachtfeld sind auch schon lange keine bedeutenden Geländegewinne mehr zu verzeichnen. Weder auf ukrainischer noch auf russischer Seite. Bradley Crawford, ein Irak-Kriegsveteran der US-Armee im Ruhestand, bildet als Privatperson ukrainische Truppen in der Nähe von Bachmut aus. «Die Zeiten der massiven gepanzerten Angriffe, bei denen viele Kilometer Boden auf einmal eingenommen wurden wie 2003 im Irak sind vorbei, weil die Drohnen jetzt so effektiv sind», sagt Crawford.
Kommt hinzu, dass Drohnen im Vergleich zu Panzern, Haubitzen oder Kampfjets ausserordentlich billig sind. Deshalb lohnt es sich, sie nicht nur gegen teures Kriegsgerät, sondern gegen jedes beliebige Ziel einzusetzen, auch gegen Autos und kleine Gruppen von Soldaten.
Wettrüsten zwischen den Kriegsparteien
Seit diesem Sommer kommen etwa FPV-Drohnen, eine kostengünstige Waffenart, auf breiter Front zum Einsatz. Das Special Operations Center A ist eine von vielen ukrainischen Einheiten, die FPV-Drohnen verwenden. Seit dem 1. Juni wollen seine FPV-Crews in der Ost- und Südukraine 113 russische Panzer, 111 Kampffahrzeuge und 68 Artilleriesysteme getroffen haben. Zudem haben sie nach eigenen Angaben fast 700 russische Opfer verursacht.
Auch die Russen verfügen über beachtliche Drohnenfähigkeiten, die sie laufend verbessern. Wie «Bild» berichtet, greift Russland seit Tagen mit modernsten Kamikaze-Drohnen aus russisch kontrolliertem Gebiet heraus ukrainische Militärflughäfen an. Die russische Armee veröffentlichte drei Videos, die belegen sollen, dass Kamikaze-Drohnen des Typs Lancet zweimal den Flughafen von Kriwi Rih und einmal die Luftwaffenbasis von Mikolaiw angegriffen und insgesamt zwei Mig-29-Kampfjets zerstört haben. Die Entfernung dieser Ziele von der Front legt nahe, dass Russland die Lancet-Drohne weiterentwickelt und ihre Reichweite verbessert hat.