Es ist eine der grössten Sabotageaktionen der Geschichte. Die Sprengung der Nordstream-Pipelines am 26. September 2022 ist auch ein Jahr danach noch weitgehend ungeklärt. Nach wie vor kommen verschiedene Theorien infrage. Waren es die USA mit ihrem Geheimdienst CIA, wie der preisgekrönte Journalist Seymour Hersh (86) glaubt? Waren es die Russen, wie Analysen von Schiffsbewegungen nahelegen? Waren es die Ukrainer?
Zum Jahrestag des Anschlags veröffentlichten die «Zeit», die ARD und die «Süddeutsche Zeitung» eine Recherche zu einem möglichen ukrainischen Hintergrund. In dem Beitrag werden mehrere Personen benannt, die von Geheimdienstlern und Ermittlern verdächtigt werden, an der Sprengung beteiligt gewesen zu sein. Es handelt sich um fünf ukrainische Staatsbürger, teilweise Militärs. Eine Spur führt sogar bis an die Spitze der ukrainischen Armee.
Der Manager für Schiffscrews
Im Zentrum des Interesses steht ein Segelboot. Die deutschen Ermittler wurden kurz nach dem Anschlag auf die «Andromeda» aufmerksam. Als sie die Yacht untersuchten, fanden sie Spuren des Sprengstoffs HMX in der Kabine. Das Boot war im Vorfeld des Anschlags über eine E-Mail-Adresse reserviert worden, die einem 30-jährigen Ukrainer gehört. Von den deutschen Medien wird er Maxim B. genannt. Maxim B. arbeitet in der Ukraine als Manager für Schiffscrews. Die Ermittler gehen nicht davon aus, dass er an Bord der «Andromeda» war.
Der Schweinezüchter aus Kiew
Die Chartermiete bezahlte ein Reisebüro in der polnischen Hauptstadt Warschau. Bei dem Unternehmen handelt es sich um eine Briefkastenfirma, hinter der Rustem A. (41), ein Geschäftsmann aus Kiew, steckt. Rustem A. besitzt mehrere Unternehmen, darunter eine Schweinezucht und eine Firma zum Bau von Wärmepumpen. Noch ist unklar, was dieser Mann letztendlich mit dem Anschlag auf die Nordstream-Pipelines zu tun hat.
Der Skipper
Im E-Mail an die Verleihfirma der «Andromeda» sind Ausweise von zwei der Segler enthalten, die das Boot chartern wollten. Der Skipper heisst demnach Mihail Popov, bulgarischer Staatsbürger. Die Dokumente sind jedoch gefälscht, wie sich später herausstellte. Ein Augenzeuge, der die Crew im Vorfeld des Anschlags im Hafen der schwedischen Insel Sandhamn beobachtet hatte, beschreibt den Skipper der «Andromeda» als jemanden, «der zu viele Hamburger gegessen hat». Er habe mürrisch und unsympathisch gewirkt. Den echten Namen von Popov haben die Ermittler bisher nicht herausgefunden. Gemäss Augenzeugen hat die Crew – fünf Männer und eine Frau – Ukrainisch gesprochen.
Der Elitesoldat
Beim zweiten Ausweis im E-Mail handelt es sich um einen gefälschten rumänischen Pass. Er ist auf den Namen Stefan Marcu ausgestellt. Der auf dem Foto abgebildete Mann sieht jedoch angeblich genauso aus wie ein gewisser Walerij K. aus der ostukrainischen Stadt Dnipro, der auf Bildern in sozialen Netzwerken in Uniform und mit Maschinengewehr posiert. Walerij K. soll in der 93. Mechanisierten Brigade, einer der am besten geschulten Einheiten der ukrainischen Armee, gedient haben.
Der Strippenzieher
Doch wer zog die Fäden im Hintergrund? Wer gab den Befehl für den Anschlag? Ein Verdacht der deutschen Ermittler richtet sich offenbar gegen General Waleri Saluschni (50), Oberbefehlshaber der ukrainischen Armee. Anlass dazu gibt ihnen unter anderem ein Bericht, der drei Monate vor der Sprengung von einem Offizier des niederländischen Militärgeheimdienstes verfasst wurde. Darin ist von einem Anschlagsplan gegen Nordstream 1 die Rede, ausgeführt von einer «nicht näher bezeichneten Einheit der ukrainischen Armee». Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski (45) wisse nichts davon, hiess es laut einem Bericht der «Washington Post». Die Soldaten würden laut dem Informanten des niederländischen Militärgeheimdienstes an Saluschni berichten. (noo)