Er diente der Wagner-Gruppe als Kommandant im Angriffskrieg gegen die Ukraine. Dann floh er nach Norwegen. Nun packt Andrej Medwedew (26) aus. Es sei die Brutalität gewesen, die er in der Ukraine erlebt habe, die ihn dazu gebracht habe, überzulaufen.
In einem Interview mit CNN erklärt Medwedew, wie die Söldner-Truppe des Putin-Verbündeten Jewgeni Prigoschin (61) mit widerwilligen Rekruten umgehe: «Sie trieben diejenigen zusammen, die nicht kämpfen wollten, und erschossen sie vor den Augen der Neuankömmlinge», erzählt Medwedew. «Sie brachten zwei Gefangene, die sich weigerten zu kämpfen, und erschossen sie und begruben sie direkt in den Gräben, die von den Auszubildenden ausgehoben worden waren.»
Nach Gefängnisstrafe rekrutiert
Bevor Medwedew sich der Wagner-Truppe anschloss, sass er eigenen Angaben zufolge eine Gefängnisstrafe wegen Diebstahl im Süden Russlands ab. Nach verbüsster Haft sei er mit der Leitung einer Söldnergruppe von Gefangenen betraut worden, die auf «fast selbstmörderische Missionen» rund um Bachmut im Osten der Ukraine geschickt worden.
Die Rekrutierung von Häftlingen habe in der Wagner-Gruppe seit vergangenem Sommer System, berichtet die «New York Times». Rund 40'000 Häftlinge sollen sich bislang den russischen Streitkräften angeschlossen haben. Die Ukraine behauptet, dass fast 30'000 desertiert sind oder getötet respektive verwundet wurden.
In Videos, die in den sozialen Medien veröffentlicht wurden, versprach Prigoschin den Gefangenen 100'000 Rubel pro Monat – umgerechnet etwa 1300 Franken und damit fast das Doppelte des russischen Durchschnittslohns. Ausserdem lockte er mit Tapferkeitsprämien und Begnadigungen durch den Präsidenten.
Prigoschin wirft Ex-Söldner Misshandlungsversuche vor
Medwedew, der gemäss eigener Aussage dem Wagner-Chef direkt unterstellt gewesen war, bezeichnet Prigoschin nun als «den Teufel». Weiter sagt der Ex-Söldner: «Wenn er ein russischer Held wäre, hätte er eine Waffe genommen und mit den Soldaten gekämpft.»
Prigoschin hatte bereits vor dem Interview bestätigt, dass Medwedew in seiner Einheit gedient hatte, hatte aber zugleich versucht, seine Glaubwürdigkeit zu beschädigen. Er warf ihm Misshandlungsversuche an Gefangenen vor. Über diese Vorwürfe wollte Medwedew im CNN-Interview nicht reden. Zum militärischen Vorgehen der Wagner-Gruppe hingegen meinte er, dass dieses chaotisch sei. «Es gab überhaupt keine richtige Taktik.» Man habe lediglich die Position des Gegners übermittelt bekommen, aber keine konkreten Befehle, wie er anzugreifen sei.
Bereits an seinem sechsten Tag im Einsatz war für Medwedew gemäss eigenen Angaben klar, dass er nicht noch einmal an die Front zurückkehren wolle. Zu oft habe er sehen müssen, wie Soldaten zu Kanonenfutter gemacht werden. Es habe immer Söldner-Nachschub – allen voran ehemalige Häftlinge – gegeben, aber die meisten überlebten nicht lange: «Ich konnte nicht zählen, wie viele es waren. Sie waren ständig im Umlauf. Mehr Tote, mehr Gefangene, mehr Tote, mehr Gefangene.»
«Propaganda wird Wirkung verlieren»
Mit seinem Gang an die Öffentlichkeit möchte Medwedew dazu beitragen, dass Prigoschin und Putin vor Gericht gestellt werden. «Früher oder später wird die Propaganda in Russland ihre Wirkung verlieren», sagt der Ex-Wagner-Kommandant. Dann werde die Regierung des Landes gestürzt, ist er sich sicher.
Mit seiner Flucht und öffentlichen Aussagen ist Medwedew ein Dorn im Auge Prigoschins. Dass der Wagner-Chef besonders grausam mit Deserteuren umgeht, ist kein Geheimnis. So feierte Prigoschin öffentlich, dass seine Untergebenen einen Deserteur aus den eigenen Reihen mit einem Vorschlaghammer töteten. Hat Medwedew deswegen Angst vor der Flucht gehabt? Der Ex-Söldner meint: «Ich würde einfach sagen, dass ich dadurch mutiger und entschlossener geworden bin, zu gehen.»