Die jüngsten Waffenlieferungen für die Ukraine hinterlassen Lücken in den westlichen Waffenkammern. Deutschland hat offenbar die Nachbestellung von Leopard-Panzern verschlafen. Auch in den USA wächst die Sorge um die schwindenden Munitionsvorräte wegen des Ukraine-Kriegs, berichtet die SRF-Tagesschau.
Bahnt sich eine Gefahr für die westliche Unterstützung an? «Dass sich die Waffen- und Munitionsbestände leeren, ist definitiv ein Problem», sagt Marcel Berni (34), Strategieexperte der Militärakademie an der ETH Zürich, «aber für beide Seiten». Auch die Armee von Wladimir Putin (70) habe – vor allem während der ersten Kriegsmonate – extrem viele Munitionsreserven verschossen. «Jetzt läuft ein Rennen im Hintergrund, bei dem es darum geht, wer schneller nachproduzieren kann.»
Russische Feuerkraft flaut ab
Derzeit mache es den Eindruck, als ob den Russen vor allem Präzisionsmunition und Raketen fehlen, sagt Berni. «Auch Russland muss auf alternative Lieferanten wie Iran oder Nordkorea ausweichen. Das zeigt, dass die Sanktionen wirken.»
Ein ähnliches Bild zeichnen auch britische und US-amerikanische Behörden: Der russische Artilleriebeschuss nimmt laut CNN drastisch ab. An einigen Stellen verzeichnen die Behörden einen Rückgang um 75 Prozent im Vergleich zum Höchststand während des Angriffskriegs.
Paradigmenwechsel bei Waffenlieferungen
Mit der Kampfpanzer-Zusage verändert sich zugleich die Kriegsstrategie des Westens. Strategieexperte Berni: «Im Jahr 2022 war das Ziel, genügend Material zu liefern, damit die Ukraine den Krieg nicht verliert. Im Jahr 2023 besteht das Ziel darin, genug Material zu liefern, damit die Ukraine gewinnen kann.»
Allerdings lässt sich das notwendige Material nicht aus dem Hut zaubern: «Derzeit spürt man, dass es in den vergangenen Jahren im Westen kaum Absichten gab, grosse Reserven an Munition und Rüstungsgütern aufzubauen.» Nur die USA haben intensiv in die Aufstockung ihres Arsenals investiert.
Somit komme es zu einem «zweifachen Problem», erklärt Berni: Einerseits gehe es darum, der Ukraine genügend Waffen zu liefern. Andererseits erschöpfen die Lieferung das Arsenal des Westens. «Deswegen werden die westlichen Partner der Ukraine demnächst ihre eigenen nationalen Reserven aufstocken wollen, um die eigene Schlagkraft weiterhin sicherzustellen.»
Die Folge: Die Staaten investieren in die Rüstungsindustrie. «Eine Abrüstung kommt aktuell nicht infrage. Vielmehr werden jetzt vermehrt Rüstungsgüter in staatlichen und halbstaatlichen Betrieben produziert», so Berni.
Nach blutigem Patt kommt Offensiv-Frühling
Die Aufrüstung ist eine Herausforderung. Laut Berni sind allerdings gerade die jüngsten Zusagen des Westens ein klares Zeichen: «Der Westen ist bereit, die Ukraine bei einem langen Krieg zu unterstützen.» Der Einsatz der neuen Kampfpanzer erfordere nämlich einen grossen logistischen Aufwand sowie ein zeitintensives Training.
Die Kampfpanzer haben aber nicht nur eine symbolische Wirkung – sie können das Geschehen auf dem Schlachtfeld massgeblich beeinflussen, sagt Berni. «In den vergangenen Monaten war ein blutiges Patt zu beobachten.» Das bedeutet: Keine Seite konnte entscheidende Erfolge erzielen. «Nun sieht es so aus, als würden beide Kriegsparteien für den Frühling auf breiter Front offensive Vorstösse vorbereiten. Die Ukrainer wollen besetzte Gebiete, wo sich die Russen eingegraben haben, zurückerobern.» Für diese Rückeroberungen seien die westlichen Panzer sehr hilfreich.
Schliesslich sind die deutschen Leopard-Panzer oder die US-amerikanischen Abrams-Panzer während des Kalten Kriegs entwickelt worden, um gegen die russischen Panzer zu bestehen, erklärt Berni. «Jetzt, rund 30 Jahre nach Ende des Kalten Kriegs, steht die Feuerprobe für die westlichen Modelle bevor.»