Pläne Russlands, seine Seegrenzen eigenmächtig in Gewässer Finnlands und Litauens auszudehnen, haben die Regierungen in Helsinki und Vilnius alarmiert. Das Aussenministerium in Vilnius erklärte am Mittwoch, es bestelle den russischen Vertreter ein und verlange «eine vollständige Erläuterung». Der litauische Aussenminister Gabrielius Landsbergis (42) forderte eine «angemessen entschlossene» Reaktion von Nato und EU. Die finnische Aussenministerin Elina Valtonen (42) sagte, ihre Regierung verfolge die Lage.
Nach dem heftigen Protest mehrerer Nato-Mitglieder wurde der russische Dekret-Entwurf, der eine Veränderung der russischen Seegrenze zu Finnland und Litauen vorsah, mittlerweile von der Webseite der russischen Regierung gelöscht. Warum die Pläne jetzt von der Webseite der russischen Regierung gelöscht wurden, dazu wurde noch kein Statement abgegeben.
Russland hat in Vilnius keinen Botschafter mehr, nachdem Litauen im April 2022 den damaligen Botschafter wegen Gräueltaten der russischen Armee im ukrainischen Butscha ausgewiesen und die diplomatischen Beziehungen zu Russland herabgestuft hatte. Mit der Einbestellung reagierte Litauen auf einen am Dienstag veröffentlichten Beschlussentwurf des russischen Verteidigungsministeriums, die russischen Seegebiete bis in die Gewässer der Nato- und EU-Mitglieder Litauen und Finnland auszuweiten.
«Offensichtliche Eskalation gegen die Nato»
Durch eine einseitig vorgenommene, neue Festlegung der geografischen Koordinaten der russischen Seegrenze würden litauische und finnische Gebiete in der Ostsee Russland zugeschlagen. Konkret würden dem Dokument zufolge die Seegrenzen der westrussischen Exklave Kaliningrad und des östlichen finnischen Meerbusens verschoben.
«Wir haben keinerlei offizielle Informationen darüber, was Russland plant», sagte die finnische Aussenministerin Valtonen. Zugleich hob die finnische Chefdiplomatin hervor, dass die russische Föderation ebenfalls der Uno-Konvention zu Seegrenzen beigetreten sei. «Wir erwarten, dass Russland die Konvention achtet», sagte Valtonen.
Zuvor hatte die Aussenministerin im Onlinedienst X geschrieben: «Es sollte nicht vergessen werden, dass das Stiften von Verwirrung auch hybrider Einfluss ist. Finnland wird sich nicht verwirren lassen.» Finnlands Präsident Alexander Stubb (56), der den aussenpolitischen Kurs des Landes festlegt, erklärte auf X, Russland stehe «in der Angelegenheit nicht mit Finnland in Kontakt».
Valtonens Interpretation einer hybriden Konfliktführung Russlands folgte auch ihr litauischer Kollege. «Ein weiterer russischer hybrider Einsatz läuft, dieses Mal wird versucht, Furcht, Unsicherheit und Zweifel hinsichtlich ihrer Intentionen in der Ostsee zu verbreiten», schrieb Landsbergis auf X. Dies sei «eine offensichtliche Eskalation gegen die Nato und die EU und dem muss mit einer angemessen entschlossenen Antwort begegnet werden».
Was plant Putin?
Der litauische Präsident Gitanas Nauseda (60) erklärte seinerseits, dass der Nato-Botschafter seines Landes gegenüber den Verbündeten der Allianz seine Besorgnis angesichts der russischen Pläne bekundet habe. Nach Nausedas Angaben könnte das Vorhaben Teil eines umfassenderen Vorgehens Russlands gegen das Verteidigungsbündnis sein. Der Staatschef sprach von einem «eklatanten Verstoss gegen das Völkerrecht».
Eine Sprecherin des Auswärtigen Amtes in Berlin sagte, es gebe umfassende Regeln zur Abgrenzung der Küstenmeere. «Derartige Abgrenzungen können nicht unilateral vorgenommen werden», sagte sie. Die Informationslage zu den russischen Plänen sei noch unklar, das Vorhaben passe aber in das Kommunikationsschema von «Provokation und Verunsicherung».
Kreml-Sprecher Dmitri Peskow (56) sagte am Mittwoch vor Journalisten, es sei «nichts Politisches» an dem Dokument des Verteidigungsministeriums, «auch wenn die politische Lage sich seit 1985 sehr stark verändert» habe. In jenem Jahr waren die aktuellen Grenzen der russischen Seegebiete festgelegt worden.
«Man kann den Grad der Konfrontation sehen, wie er derzeit ist, insbesondere in der Ostsee-Region», fügte der Sprecher von Russlands Staatschef Wladimir Putin (71) hinzu. «Dies erfordert, dass die geeigneten Einrichtungen die geeigneten Massnahmen ergreifen, um unsere Sicherheit sicherzustellen.»
«Ostsee darf nicht zu Putins Spielwiese werden»
Das Verteidigungsministerium in Moskau erklärte, die Neufestlegung der russischen Seegrenzen sei notwendig, weil die gegenwärtigen Koordinaten «nicht vollständig der aktuellen geografischen Lage entsprechen». Die Änderungen sollen demnach im Januar 2025 in Kraft treten.
Indes warnte der schwedische Armeechef Micael Byden (59) vor Russlands Machtambitionen in der Ostsee. «Ich bin sicher, dass Putin sogar beide Augen auf Gotland geworfen hat. Putins Ziel ist es, die Kontrolle über die Ostsee zu erlangen», sagte der Armeechef den Zeitungen des Redaktionsnetzwerks Deutschland (RND, Mittwochsausgaben). «Die Ostsee darf nicht zu Putins Spielwiese werden, auf der er die Nato-Mitglieder in Angst und Schrecken versetzt», fuhr Byden fort.