1150 Quadratkilometer und 82 Gemeinden in der Region Kursk sind laut dem ukrainischen Armee-Chef Alexander Sirski (59) mittlerweile unter ukrainischer Kontrolle – fast so viel Land, wie die russischen Streitkräfte seit Jahresbeginn in der Ukraine erobert haben.
Die ukrainische Offensive in Kursk
Mehr als 120'000 Menschen wurden aus den russischen Grenzgebieten evakuiert. Mit der Offensive hat Kiew nicht nur die westlichen Verbündeten überrascht, sondern auch die Kreml-Eliten. Das unabhängige russischsprachige Medium «Verstka» hat nun dokumentiert, was Russlands Spitzenpolitik über die Situation in Kursk denkt. So viel ist klar: Die Stimmung ist alles andere als gut.
Putin kanzelt Gouverneur von Kursk ab
Eine Quelle aus dem Büro von Moskaus Bürgermeister Sergej Sobjanin (66) sagte den Journalisten, dass unter seinen Kollegen Panik herrsche. Er vergleicht die aktuelle Situation mit dem Kriegsbeginn im Februar 2022. «Auch das schien nicht lange zu dauern – aber es stellte sich als eine langfristige Angelegenheit heraus», so der Beamte. Der Glaube, die russischen Streitkräfte könnten den Angriff auf Kursk in zwei oder drei Tagen, höchstens aber innert einer Woche, zurückschlagen, erwies sich als Trugschluss. Der Einmarsch geht in seine zweite Woche.
Ein russischer Senator, der dem Verteidigungsausschuss des Föderationsrates nahesteht, schildert, wie die offiziell von Russlands Präsident Wladimir Putin (71) und seinem Verteidigungsministerium verbreitete Version der Ereignisse von dem abweicht, was russische Militärblogger über die Gefechte berichten. «Das Verteidigungsministerium sagt das eine, und wir geben das öffentlich weiter, aber in der Zwischenzeit lesen wir alle die Kriegskorrespondenten, die Generalstabschef Waleri Gerassimow scharf angreifen», so der Spitzenpolitiker.
Der Gouverneur von Kursk, Alexej Smirnow, wurde am Montag von Putin live im russischen Staatsfernsehen abgekanzelt, als er begann, über das Ausmass des ukrainischen Einmarsches zu sprechen.
Die Stimmung in den Kreml-Behörden sei «sehr beunruhigt». Das liegt auch daran, dass Kursk nur wenige Autostunden von Moskau entfernt ist. «Die Kämpfe finden ganz in der Nähe statt», zitiert «Verstka» eine Quelle aus Parlamentskreisen.
Zu guter Letzt fürchten die Kreml-Eliten auch, dass für das Versagen bei der Verteidigung des eigenen Territoriums Köpfe rollen werden. Diejenigen, die den Einfall zugelassen haben, könnten mit Strafverfahren gemassregelt werden – ähnlich wie es schon bei den Korruptionsfällen im russischen Verteidigungsministerium der Fall war.
Russen werden mit Geld an die Front gelockt
Das erste prominente Opfer steht bereits fest: Am Dienstag berichteten russische Medien, dass Alexander Schmatkow, der amtierende Leiter der Regionalverwaltung von Kursk, von seinem Posten zurückgetreten sei.
Nur eine Sache sorgt in Moskau für vorsichtigen Optimismus: Die Rekrutierungsbüros verzeichneten angeblich einen Anstieg bei den Personen, die sich zum Wehrdienst angemeldet haben. Nach Darstellung des Senators ist der Anstieg auf den Wunsch der Russen, ihr Vaterland zu verteidigen, zurückzuführen. Vielmehr dürfte der Boom bei den Anmeldungen eher an der für russische Verhältnisse hohen Anmeldeprämie in Höhe von 1,9 Millionen Rubel (etwa 19'000 Franken) liegen.