Am Samstag äusserte sich der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski (46) zum ersten Vorstoss seiner Truppen auf russisches Gebiet seit Kriegsbeginn. Selenski sprach in seiner täglichen Ansprache von der am 6. August gestarteten Offensive als eine «Verlagerung des Krieges auf das Territorium des Aggressors».
Einer, der gerade von der grenzüberschreitenden Mission zurückgekehrt ist, ist Thomash. Er und sein Kumpel «Accord» gehören zu einer Drohneneinheit und waren damit beauftragt, zwei Tage lang den Weg für die Operation vorzubereiten.
Aktion war monatelang geplant
«Wir erhielten den Befehl, hierherzukommen, aber wir wussten nicht genau, was das zu bedeuten hatte», sagt Thomash bei einer Kaffeepause zur BBC. «Zuvor haben wir Kommunikations- und Überwachungsmittel des Feindes ausgeschaltet.» Ein weiterer Soldat, der sich noch in Russland aufhält, erzählt via Telegram, dass die Aktion monatelang geplant wurde, um Moskau dazu zu zwingen, Truppen von Teilen der Frontlinie in der Ukraine abzuziehen. «Das Überraschungsmoment hat funktioniert», sagt er weiter. «Wir sind problemlos und ohne grossen Widerstand eingedrungen.»
Bis Montagabend waren die ukrainischen Truppen nach Auswertungen der Nachrichtenagentur AFP in der Region Kursk um bis zu 800 Quadratkilometer vorgerückt und kontrollieren mehr als zwei Dutzend Dörfer. Fast 200'000 Russen sollen bislang aus ihren Häusern geflohen sein. Die russische Armee eroberte demnach im selben Zeitraum 69 Quadratkilometer ukrainisches Territorium.
«Sie sollen auch Moskau einnehmen»
«Die russischen Zivilisten, die wir antreffen, leisten keinen Widerstand», erklärt der Soldat an der Front weiter. «Wir fassen sie nicht an. Sie sind uns aber auch nicht wohlwollend gesinnt.» Inwieweit diese Schilderung des Umgangs mit den Russen zutrifft, lässt sich nicht unabhängig überprüfen.
«Ich will, dass sie es (die Region Kursk) einnehmen», sagt Misha, ein zufällig vorbeifahrender Zivilist, der mit seinem Freund Valera unterwegs ist. «Sie sollen alles einnehmen, auch Moskau.» «Die Russen haben zuerst angegriffen», ergänzt Valera bei heruntergelassenem Fenster. «Jetzt haben unsere Jungs geantwortet und gezeigt, wozu wir fähig sind.»
Doch auch wenn die Ukraine Putin mit ihrer Invasion überrumpelt zu haben scheint, steht nach wie vor viel auf dem Spiel. Die ukrainischen Streitkräfte sind den russischen Angreifern zahlenmässig klar unterlegen, und ob die erhoffte Verlagerung der Kämpfe auf russischen Boden das Vorrücken der Russen stoppen kann und Moskau zu Friedensgesprächen bewegt, bleibt offen.
Ausnahmezustand in mehreren russischen Regionen
Der Gouverneur der russischen Grenzregion Belgorod hat derweil den Ausnahmezustand ausgerufen. Die Lage in der Region bleibe aufgrund des Beschusses durch die ukrainischen Streitkräfte «extrem schwierig und angespannt», erklärte Wjatscheslaw Gladkow am Mittwoch im Onlinedienst Telegram. Der Ausnahmezustand werde ab Mittwoch auf «regionaler Ebene» verhängt. Er stellte zudem einen Antrag, einen landesweiten Ausnahmezustand auszurufen.
Gladkow teilte weiter mit, es habe ukrainische Drohnenangriffe auf zwei Dörfer in der Region gegeben. Auch die Behörden der Regionen Kursk, Woronesch und Brjansk erklärten, dass Drohnen aus der Ukraine in der Nacht von der Luftabwehr abgeschossen worden seien.
Belgorod grenzt an die ukrainische Region Charkiw und an die russische Region Kursk. Der Gouverneur von Kursk hatte bereits in der vergangenen Woche den Ausnahmezustand ausgerufen.