So werden die Soldaten für die Front ausgebildet
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Schiessübung im Steinbruch:So werden die Soldaten für die Front ausgebildet

Neue Rekruten trainieren in der Ostukraine – während die Verhandlungen laufen
«Ich hoffe, dass ich nicht in die Schlacht ziehen muss»

Die Motivation der ukrainischen Streitkräfte steht auf dem Prüfstand. Nach drei Jahren Abnutzungskrieg drängt insbesondere die USA auf Verhandlungen zu einer Waffenruhe. Die Ukraine steht unter Druck, ihre besetzten Gebiete abzugeben, um das Blutvergiessen zu stoppen.
Publiziert: 21.03.2025 um 00:15 Uhr
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Aktualisiert: 21.03.2025 um 11:35 Uhr
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Rekruten des Battaillons Aidar trainieren Angriffstechniken.
Foto: Helena Graf

Darum gehts

  • Ukrainische Soldaten üben für Fronteinsatz während Waffenstillstandsverhandlungen laufen
  • Bataillone kämpfen mit sinkender Motivation der neuen Rekruten
  • Manche Kommandanten haben alles für die Befreiung der Ostukraine geopfert
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Helena GrafReporterin

In einem Steinbruch in der Oblast Donezk üben zwei Soldaten die Somalia-Taktik. Sie kauern hinter einem Schutthaufen, heben alle zwei Sekunden ihre Kalaschnikows über den Kopf, feuern mehrere Schüsse ab. Es ist Mitte März 2025. Während Donald Trump und Wladimir Putin am Telefon über einen Waffenstillstand diskutieren, proben diese ukrainischen Rekruten ihren ersten Front-Einsatz.

Einer von ihnen nennt sich R2-D2 – wie der Roboter in den «Star Wars»-Filmen. «Ich hoffe, dass ich nicht in die Schlacht ziehen muss», sagt er. Vor einigen Monaten erhielt der 28-Jährige den Marschbefehl. Grundausbildung im Rekrutierungszentrum Desna, Nordukraine, auf halber Strecke zwischen Kiew und Chernihiv.

«Viele meiner dortigen Kollegen sind bereits tot», erzählt R2-D2. Nach der Grundausbildung teilt man die Rekruten unterschiedlichen Bataillonen zu. Einige müssen direkt an die Front. R2-D2 wird nach Donezk geschickt, zum Angriffsbataillon «Aidar».

«Sie schicken mittlerweile jeden»

Lisiy, ukrainisch für Glatze, ist ein stämmiger Kommandant mit blauen Augen und grauem Bart. Aidar schickt seine Rekruten zu ihm in die Zusatzausbildung. «Die Armee ist mein Leben», sagt Lisiy und kramt sein Dienstbüchlein hervor. Ein 20-jähriger Bursche mit blondem Haar schaut ernst in die Kamera. Lisiy erzählt: «Ich wollte schon als Kind Soldat werden.»

Aidar wurde 2014 als Freiwilligenbataillon gegründet, um Angriffe auszuführen. Seine Soldaten überfallen in kleinen Gruppen russische Schützengräben, bringen sie unter ihre Kontrolle. Ihr Risiko zu sterben ist höher als das der Verteidiger. «Im Angriff kann dich nur dein Kamerad schützen», erklärt Lisiy. Wenn ein Kämpfer nicht motiviert ist, oder starr vor Angst, kann das für die ganze Gruppe den Tod bedeuten.

Als nur Freiwillige für Aidar kämpften, war die Motivation nie ein Problem. «Doch mittlerweile schicken sie jeden zu uns», sagt Lisiy. Nach drei Jahren Abnutzungskrieg sind die ukrainischen Kräfte ausgeschöpft. Erfahrene Soldaten werden verwundet oder getötet. Sie zu ersetzten – praktisch unmöglich.

«Keine Heldengeschichten mehr»

Wehrdienst-Offiziere greifen ukrainische Männer auf, schicken sie in die Rekrutierungszentren. Lisiy stört das – aber er bleibt pragmatisch: «Es ist unsere Aufgabe, die Neuen zu motivieren. Wir kümmern uns um sie, integrieren sie in die Aidar-Familie. Und das Wichtigste: Wir bilden sie richtig aus.»

Seit der Invasion 2022 verändern sich Waffensysteme und Kriegstechnik laufend. Nur noch selten stehen sich ukrainische und russische Soldaten gegenüber, schiessen aufeinander. Vor zwei Jahren dominierte die Artillerie. Nun sind es Langstreckenraketen und bewaffnete Drohnen.

Yuriy Bereza hat 2014 das Battaillon Dnipro 1 gegründet.
Foto: Helena Graf

Yuryj Bereza (55) war bis vor kurzem Kommandant des Bataillons Dnipro 1. Er und seine Soldaten experimentierten bereits in den ersten Kriegsmonaten mit Drohnen, die Granaten abwerfen können. Der Wandel zum Drohnenkrieg schwächt die Moral, glaubt Bereza: «Es gibt kaum direkten Kontakt zum Feind. Du steuerst eine Drohne und tötest. Du schiesst Raketen ab und triffst vielleicht. Vielen Kommandanten gehts ums Prestige – doch mit moderner Kriegstechnik werden keine Heldengeschichten geschrieben.»

Über neun Jahre Krieg gegen Russland hat Bereza hinter sich. Er wurde mehrmals verwundet, hat unzählige Kameraden sterben sehen. Er habe seine Soldaten stets erinnert, dass ihr Überleben das Wichtigste sei. «Nur ein lebendiger Soldat kann töten» – lautet sein Motto.

«Waffenruhe gibt Zeit, zu überlegen»

R2-D2 erinnert sich noch an den Moment, als er realisierte, dass er in den Krieg ziehen muss. «Ich hatte solche Angst», erzählt er. In der Ausbildung habe er gelernt, wie er sich im Kampf verhalten müsse. «Jetzt fühle ich mich sicher und bereit, meine neuen Fähigkeiten einzusetzen.»

Am kommenden Montag treffen sich die Ukraine und die USA in Saudi-Arabien, um über eine Waffenruhe mit Russland zu verhandeln. Der ukrainische Präsident wird Territorium abgeben müssen, wenn er nicht als Kriegstreiber dastehen will. R2-D2 sagt, damit könne er leben. «Eine Waffenruhe gibt uns allen die Zeit, uns zu erholen. Und zu überlegen, was wir wirklich wollen.»

Aidar-Kommandant Lisiy entlässt die Rekruten in die Mittagspause. Es gibt kaltes Dosenfutter und Energie-Riegel. Lisiy hat praktisch alles für die Befreiung der besetzten Gebiete in der Ostukraine geopfert. Sein gesamter Besitz passt in ein kleines Auto. Die Familie sieht er kaum. Jetzt die Waffen niederlegen – für Lisiy keine Option. «Unsere Brüder und Schwestern, unsere Kinder den Besatzern überlassen? Niemals. Solange mein Herz schlägt, werde ich für sie kämpfen.»

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